Venusblut - Schreiner, J: Venusblut
ungewohnt, unwillkommen und doch notwendig. Sie konzentrierte sich auf dieses Gefühl, dieses Neue, nährte es mit dem einzigen Gefühl, das sie noch hatte, mit der Angst, Joel endgültig zu verlieren, der essenziellen Panik, ihr kurzes Intermezzo könnte alles gewesen sein. Es bündelte sich in ihr, wuchs, flutete durch ihre Adern, brandete aus ihren Zellen und endlich, endlich strömte es aus ihr heraus, durchbrach die Magie, die der älteste der Vampire über sie gelegt hatte.
Sie konnte sich wieder bewegen. Und alle anderen auch!
Um sie herum konnte Judith Geräusche hören, doch ihre Aufmerksamkeit blieb starr auf Joel gerichtet. Joel, der sein Schwert zog und Nemesis auswich. Joel, der sich duckte und tänzelte, um Maeve, Hasdrubal, Edward und Sofia auszuweichen, die sich geschlossen gegen Artabanos stellten. Joel, der Fee und Gorgias passieren ließ und Nemesis‘ Schwertschläge parierte, während Xylos und Melanie hinter dem anderen Paar hergingen, es aber nicht angriffen, sondern lediglich in eine Ecke drängten. Joel, hinter dem Logan versuchte, die Felsenwohnung zu verlassen und zu entkommen. Judith musste geblinzelt haben, denn das Geräusch kam unvorhergesehen, ging durch und durch, etwas, was sie nie wieder hören wollte. Schwert durch Fleisch, Joel ging zu Boden, und Xylos, Xylos würde nicht schnell genug da sein … Maeve nicht schnell genug …
Joel spürte den Schmerz, erkannte die Beinahe-Tödlichkeit des Treffers, sah das Schwert auf sich zukommen … Xylos zu weit entfernt … im nächsten Moment war Judith da, direkt vor ihm und … er konnte das Silber des Schwertes in ihrem Rücken sehen … konnte durch ihren Rücken sehen … Sekunden, bevor ihr Blut spritzte, seinen Körper berührte … Sekunden, bevor Xylos Nemesis von den Füßen riss … Sekunden, bevor sich sein eigenes Schwert – Magnus’ Schwert, geführt von seiner Hand – bewegte und Nemesis enthauptete … Sekunden zu spät … sein Innerstes erstarrte, die Welt blieb stehen.
Die Realität nicht.
Mit dem Rücken zu ihm ging Judith in die Knie. Immer noch wallte Macht aus ihr heraus. Immer noch versuchte sie, Artabanos Kraft zu unterdrücken, ihnen zu helfen,
ihm
zu helfen.
Seine tapfere, mutige Judith. Gegen jedes Wissen und jede Erwartung hatte sie zu ihm gehalten, ihm alles verziehen und … großer Gott! Joel bettete ihren Kopf in seinen Schoß … er konnte seinen Blick nicht von dem Blut abwenden. Ihrem Blut. Sie war für ihn … sie hatte ihm … Sie … starb für ihn.
Und dass sie starb, daran bestand kein Zweifel. Die Erkenntnis lähmte Joel, ließ seine Gedanken rasen und … erst als der Druck beinahe körperlich spürbar wurde, erkannte er, dass es nicht nur das Entsetzen war, das seinen Körper paralysierte. Es war Artabanos Macht, die wieder aufgewallt war und stärker wurde. In demselben Maße zunahm, in dem Judiths schwächer wurde. Sie schien mit jedem Tropfen Blut aus ihr heraus zu laufen. Unwiderruflich.
Joel wollte ihr helfen, die Blutung stillen, sie retten, doch der Druck war zu groß, von allen Seiten vorhanden. Er konnte sich nicht bewegen, nicht einmal blinzeln, nur zusehen, hilflos mit ansehen, wie Judiths Blick zu flackern begann. So, als versuchte er, einen Halt in der Realität zu finden, sich an Joel festzuhalten; aber immer wieder glitt ihr Blick von ihm ab hin zu Artabanos.
Artabanos, dessen Aufmerksamkeit und Wut von Vampir zu Vampir glitten und schließlich an Logan hängen blieben.
»Hallo, Verräter!«
Joel konnte das silberne Netz von Artabanos Macht einen Augenblick lang in der Luft schweben sehen, auf Logan zu, Sekunden, bevor sich Judith verkrampfte und ein letzter Hauch Magie aus ihr strömte. Genug, um Artabanos ein letztes Mal abzulenken.
Judith fing die Blicke ein, Logans Ungläubigkeit ebenso wie Joels Verzweiflung, bevor Schwärze endgültig jedes weitere Bild auslöschte.
37
Dumpfe Verzweiflung legte sich um Maeves Herz, als Judith mit einem dumpfen Seufzer ihre Augen schloss. Sie hatte sie doch noch gar nicht kennengelernt!
Wütend kämpfte sie gegen die unsichtbaren Fesseln, die Artabanos um seine Gefangenen gelegt hatte, gegen den Druck, die Prophezeiung und das Schicksal. Sie hatte sich opfern, die Unsterblichkeit dauerhaft machen wollen. Mit jedem dieser kleinen Gedanken gelang es ihr ein wenig mehr, sich Bewegungsfreiheit zu erkämpfen. Beinahe konnte sie schon wieder ihre Beine bewegen, beinahe…
Artabanos wandte sich ihr zu und verstärkte den Druck. Zu
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