Vera Lichte 01 - Tod eines Klavierspielers
Prostitution.
Das eigene Geld legte er gerne im Käsehandel an, kleine Läden, an denen blauweißrote Fähnchen wehten und die den besten Ziegengouda der Stadt verkauften.
Die Leiche war im Freihafen gefunden worden, auf der Rampe des Kaispeichers A, einem Betonsilo der Nachkriegszeit, den keiner mehr brauchte. Doch er hatte seine Chance als Tatort genutzt. Abgelegen. Trist. Die ideale Kulisse für einen professionellen Mord. Die Kehle wies einen tiefen Schnitt auf. Dort, wo die Halsschlagader war.
Der Holländer Michel hatte geblutet wie ein Schwein.
Pit stand auf der Rampe und sah auf die großen dunklen flecken, die in den Betonboden gesickert waren.
Was war los auf dem Kiez? War irgendein Terrain übertreten worden, dass sich die Herren an den Kragen gingen?
Querelen darüber, wer in welchen Diskos und Bars den Scheiß verkaufen durfte? Ecstasy für die Kids. Kokain für die gesellschaftlich Fortgeschrittenen.
Der Sohn eines Kollegen von der Sitte war nach ein paar Pillen ausgeflippt und saß jetzt in der Klapse. Bot eine echt gute Gelegenheit, an Schizophrenie zu erkranken, dieses Zeug.
Beinah hätte Pit auf die Blutflecken gespuckt.
Kein Leben für einen Kriminalbeamten, am Kaispeicher zu stehen, auf den Kreideumriss eines Körpers zu gucken und von der Schlechtigkeit der Welt zu wissen und nichts daran ändern zu können. Pit spuckte. Aber in die andere Richtung. Die Rampe runter. Es fing an, dunkel zu werden. Die Kollegen stellten schon die Scheinwerfer auf.
Sechzig Jahre alt war der Holländer Michel geworden. Wer erbte nun die Käseläden? Und die übrigen Pfründe?
Pit überlegte, ob es schon zu spät war, um in Nicks Küche einzukehren. Es würde an höherer Stelle wenig begrüßt werden, wenn man wüsste, was ein Außenstehender alles an Interna erfuhr. Doch Pit tat dieses Abladen bei Nick gut.
Seelenhygiene. Sonst wäre er sicher bald verrückt.
Er drehte sich zu den Leuten von der Spurensicherung um und meldete sich ab. Morgen früh um sieben war die erste Konferenz angesetzt. Er kannte Menschen, die um zehn anfingen und um sechs nach Hause gingen. Ohne Last auf den Schultern. Ohne Leichen. Ohne Albträume. Irgendwie hatte er die falsche Karte gezogen.
Er tippte Nicks Nummer in sein Handy ein, als er zum Auto ging. Wenigstens eine kleine Vorwarnung wollte er geben.
Nick meldete sich nach dem ersten Läuten.
Er schien einsam zu sein.
Pit versprach, Wein von der Tanke mitzubringen. Sie alle wurden zu Säufern. Doch er war dankbar, nicht gleich in seine eigene leere Wohnung gehen zu müssen, sondern für ein paar Stunden bei Nick aufgefangen zu werden.
Er lag unter seinem Flügel, als die Saphirblaue das Haus verließ. Philip Perak war trunken und beseelt und lag ohne Hosen unter dem Bösendorfer. Hatte er Sex gehabt?
Er kroch hervor und wunderte sich, dass es schon hell war.
Die Nacht war ihm entglitten.
Seine helle Leinenhose hing an der geschnitzten Lehne des Schreibtischstuhls. Zwischen den Löwenköpfen.
Er erinnerte sich nicht daran, die Hose ausgezogen zu haben. Erinnerte er sich überhaupt?
Auf dem Flügel standen zwei leere Flaschen Dom Perignon und eines der hohen Kelchgläser. Das andere knirschte unter seinen Füßen, als er aufstand, um in die Küche zu gehen.
Er hatte Kopfschmerzen. Starke Kopfschmerzen. Doch in seinem Körper summte es, wie er es kaum kannte.
Die Saphirblaue hatte ihn verhext.
Die Knie gaben ihm nach, als er den Arm hob, um an das oberste Fach des Küchenschrankes zu kommen und nach dem Aspirin zu greifen. Doch es gelang ihm, zwei Tabletten in einem Glas Wasser aufzulösen und zurück in den Salon zu gehen und sich auf das Sofa fallen zu lassen.
Hier würde er abwarten, bis er wieder bei Sinnen war.
Perak schlief Stunden auf seinem Sofa. Als er aufwachte, glaubte er, vom Geräusch des Aufzugs geweckt worden zu sein. Es ging ihm besser. Er blickte wieder klarer.
Das Erste, was er sah, waren die Scherben des kostbaren Kelches. Der Stiel war abgebrochen, der Rand zersplittert.
Er stand auf und bückte sich. Vorsichtig. Ganz sicher war er sich seiner Bewegungen noch nicht. Als seien Körper und Kopf eine Weile voneinander losgelöst gewesen.
Philip Perak hob den einzig größeren heilen Teil des Glases auf, den unteren Kelch. Ein helles sandiges Gekrümel hatte sich darin gesammelt. Weinstein.
Gab es diese Rückstände im Champagner? Ihm war es nie vorher aufgefallen. Das hier sah aus wie der Rest einer nicht vollständig aufgelösten
Weitere Kostenlose Bücher