Vera Lichte 05 - Tod eines Heimkehrers
melden wollen und ihre Adresse mitteilen.«
»Das hat sie nicht getan«, sagte Pit.
»Nein«, sagte Anna Forsbjerg, »und die Nachforschungen, die meine Eltern anstellten, ergaben nichts. Sie war wie vom Erdboden verschluckt.«
»Wie alt waren Sie?«
»Acht, als Marta kam, und demnach zehn Jahre alt, als sie verschwand.«
Dann war Anna achtundzwanzig Jahre alt. Er könnte ihr Vater sein. Wenn auch ein sehr junger Vater, tröstete sich Pit.
Anna Forsbjerg biss in eines der Muffins, die vor ihnen standen. Die Zeit tickte. Gleich würde sie nach Mailand einchecken müssen.
»Ihr Tod ist schrecklich traurig«, sagte sie kauend. Sie war ohne Zweifel eine Frau, die das Leben liebte. »Sie ist stranguliert worden?«
»Ja«, sagte Pit, »vermutlich mit einem goldenen Reif erdrosselt. Das Schmuckstück einer Frau, die Tage zuvor auf gleiche Weise ums Leben kam. Wissen Sie von Freundinnen, die Marta hatte?«
Die junge Frau schüttelte den Kopf. Hielt sich eine Hochfrisur lange?
»Ab und zu ging sie zu einem polnischen Kaffeekränzchen. Da haben sie wohl Handarbeiten gemacht. Marta stickte ganz nett.«
Pit biss ebenfalls in ein Muffin. Wäre es nicht wunderbar, hier einfach zu sitzen, ohne über einen Mord zu reden?
»Meine Mutter hat noch ein paar ihrer Stickereien. Deckchen für den Brotkorb. Duftsäckchen. War die zweite Tote denn Polin?«
»Nein«, sagte Pit, »es scheint keine Gemeinsamkeiten zwischen den beiden zu geben. Außer dem Alter und einer Brosche aus Blech.«
»Das scheint mir schon viel zu sein«, sagte Anna Forsbjerg. Sie guckte zu der Uhr an der Bar hoch. »Leider muss ich jetzt gehen.«
Pit seufzte, als er seine Karte hervorholte und sie Anna gab.
»Sie haben meine Nummer in Stockholm«, sagte sie. »Wenn Sie noch eine Frage haben, mein Mann weiß, wo ich in Italien zu erreichen bin.«
»War Marta sehr katholisch?«, fragte Pit.
Anna Forsbjerg zögerte. »Am Sonntag und an Feiertagen ging sie in die Kirche. In den Mariendom in der Danziger Straße. Wir wohnten in der Nähe. Ich habe sie manchmal begleitet.«
Ein langer Händedruck, mit dem sie sich verabschiedeten.
»Wer wird für ihre Beerdigung sorgen?«, fragte Anna Forsbjerg, als sie sich schon zum Gehen wandte.
»Das wird ein Verwaltungsvorgang werden«, sagte Pit.
»Ich spreche mit meinen Eltern«, sagte Anna Forsbjerg, »ich rufe Sie an.«
Als Pit zum Auto ging, fiel ihm ein Stickbild zum Gedenken an ein Kind ein. Marta und Bimbi hatten doch noch mehr gemeinsam gehabt.
Wie lockte man kleine Kinder? Mit Kätzchen? Philip Perak stand auf der Krugkoppelbrücke und sann über fragen nach, die sein Leben noch nie tangiert hatten. Was hätte ihm in dem Alter Freude gemacht?
Auf einen Schoß zu klettern, dachte er. Doch er verwarf diese Antwort gleich wieder. Auf wessen Schoß? Nicht der seiner Mutter.
Eine Szene aus einem Film kam ihm in den Sinn. Ein großer Kerl, der an einem Waldrand stand und ein Kind mit einer Kasperlepuppe lockte.
Perak schüttelte sich in Gedanken daran. Dies alles war ordinär.
Diese Sonntage zogen sich. Fast hätte er Lust auf die Anley gehabt.
Für Katja fiel ihm vielerlei Amusement ein. Doch für ein Kind?
Eine weitverbreitete Spezies, wenn er um sich sah. Spaziergänger schoben Kinderwagen. Wurden von Dreirädern begleitet. Väter trugen Kinder auf Schultern. Die Menschheit war nicht vom Aussterben bedroht. Ganz im Gegenteil. Ihm schien, dass eine Kinderexplosion bevorstand, die sich an diesem letzten Julisonntag ankündigte.
Perak dachte einen Augenblick daran, in dem Lokal unten am Anleger einzukehren. Doch diese Massen, die sich da tummelten, stießen ihn ab.
Ob die Anley Kinder hatte?
Vielleicht kam von ihr eine Anregung, ohne dass sie ahnen durfte, um was es ging. Er hatte die Dame nicht gesehen seit jenem Abend, der für die Anley auf dem Mooreichentisch geendet hatte.
Die Oleanderbäume hatte Olja entgegengenommen.
Er sollte auf seine Terrasse zurückkehren. Vor dem Volke fliehen.
Einfach wegschnappen, dachte Perak, als er die Tür aufschloss.
Das Kind einfach wegschnappen. Und dann?
Den Jungen in der granitenen Wanne schwimmen lassen?
Olja kam zweimal in der Woche.
Die würde kaum zögern einzugreifen, wenn sie ein Kind in seiner Wohnung sähe, das dort nicht hingehörte.
Perak bereitete sich einen großen Gin Tonic. Als er das Glas auf die Terrasse trug, hatte er den Verdacht, eine Vase in der Hand zu halten.
Doch der Alkohol tat gut. Glitt ihm warm in die Glieder.
Er blickte
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