Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)
sein, dass ich
tausend Erdenjahre alt bin, oder noch älter.“
Ich
musste schlucken. „Das ist … ein klein wenig beunruhigend.“
„Na
ja, aber so kann man wie gesagt nicht rechnen. Genaugenommen zählt nur die
Zeit, die ich am Stück auf der Erde verbracht habe. Also bin ich heute zwei
Jahre alt geworden.“
„Ach
so, na dann!“
Er
lachte über das irrationale Entsetzen in meiner Stimme, und mir kam plötzlich
ein Gedanke. Ich wusste nicht, ob es taktlos war, ihn auszusprechen, aber
diesbezüglich gehörte Zurückhaltung ja nicht gerade zu meinen Stärken. Also
platzte ich einfach damit heraus: „Happy Birthday, übrigens.“
Für
einen Moment wurde sein Gesicht ernst, als müsste er sich meine Worte durch den
Kopf gehen lassen; dann verzog sich sein Mund langsam zu einem breiten Lächeln.
„Das ist es tatsächlich, wer hätte das gedacht. Und wie soll der Anlass
gefeiert werden?“
„Keine
Ahnung. Zum zweiten Geburtstag empfiehlt sich wahrscheinlich Topfklopfen oder
Blinde Kuh.“
„Bitte
was?“
„Das
sind Spiele.“
„Mit
Kochgeschirr und sehbehindertem Nutzvieh?“
„Nicht
so wichtig. Und dann bekommt man eine Torte, und während man die Kerzen
auspustet, darf man sich etwas wünschen.“
„Ihr
scheint euch ja wirklich alle naselang etwas zu wünschen. Sogar bei
ausgefallener Körperbehaarung, wie ich kürzlich erfahren habe.“
„Nur
bei Wimpern“, erwiderte ich etwas verlegen. „Aber Sternschnuppen gehen auch.“
„Damit
kann ich vielleicht dienen“, verkündete Rasmus, richtete sich auf und zog die
Jalousien an dem Fenster hoch, das sich direkt über uns in der Dachschräge
befand. Durch diese kleine Luke konnte man, wenn man auf dem Rücken lag und den
Kopf ein bisschen nach hinten neigte, den Nachthimmel sehen.
„Wenn
ich mich recht erinnere, hatte ich dir ja bei unserem ersten Date etwas in der
Art versprochen“, meinte Rasmus zufrieden und ließ sich wieder neben mich auf
die Matratze fallen.
„ Ich erinnere mich ganz genau. Es war wirklich irrsinnig romantisch.“
„In
diesem Moment habe ich es einfach viel zu sehr bedauert, dass du keinerlei
Anstalten gemacht hast, in den Abgrund zu plumpsen“, antwortete er
entschuldigend.
„Charmant.
Und nur, weil du unbedingt den Helden spielen wolltest.“
„Tja,
diese Rolle kann ich mir wohl endgültig abschminken.“ Ich bemerkte deutlich den
bitteren Ton, der sich in seine Stimme geschlichen hatte, und ich ahnte, dass
er in Gedanken gerade noch einmal miterlebte, wie ich in der Allee um mein
Leben kämpfte. Vorsichtig löste ich mich aus seiner Umarmung und stützte mich
auf die Ellbogen, um ihm in die Augen zu sehen. Sofort veränderte sich sein
Gesichtsausdruck: Es war ihm offenbar gelungen, seine düsteren Überlegungen
abzuschütteln, denn als er meinen Blick erwiderte, tauchte das wohlbekannte
Grübchen in seiner Wange auf. „Aber das Gute am Heldenspielen ist ja nicht
unbedingt die Rettung“, fügte er hinzu, umfasste blitzschnell meine Taille und
zog mich an sich heran.
„Ach
nein?“, fragte ich atemlos.
„Überhaupt
nicht. Interessant wird es doch erst, nachdem der Held mit seinem Mädchen in
den Sonnenuntergang geritten ist. Was davor kommt, ist überbewertet.“
„Hoffnungslos
überbewertet“, stimmte ich eilig zu, bevor Rasmus mir den Mund verschloss.
Wieder
war ich es, die sich zuerst losriss. Mir spukten einfach noch zu viele Fragen
im Kopf herum. „Glaubst du, die Richter werden es akzeptieren, dass du dich
ihrer Bewährungsprobe gar nicht mehr stellen möchtest? Werden sie nicht
versuchen, dich irgendwie zum Handeln zu zwingen, oder dir schon eine harmlose
Tat als Rettung anrechnen? Und dann würde mich auch noch interessieren …“, da
legte mir Rasmus die Hand auf den Mund. „Gibt es in deiner Welt eigentlich
Fernsehen?“, nuschelte ich an seinen Fingern vorbei.
„Okay,
stopp!“, schnitt mir Rasmus das Wort ab. „Ja, ich weiß, das sind fast alles
berechtigte Fragen. Aber ich kann schließlich nichts anderes tun, als
vorsichtig zu sein und das Beste zu hoffen. Was in diesem Fall wäre, dass die
Richter es irgendwann leid sind, sich mit mir zu befassen.“
„Aber
…“
„Und
ich weiß auch, dass die Chancen dafür ziemlich schlecht stehen. Ich könnte mir
jetzt Sorgen darüber machen, wie ich den nächsten Jahrestag erleben soll … und
wie ich ihn über leben soll, wenn wir schon mal dabei sind. Aber in 364
Tagen scheint mir ein besserer Zeitpunkt dafür zu
Weitere Kostenlose Bücher