Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)
meine Füße endlich wieder auf einen Widerstand trafen. „Du darfst nicht
einfach so abhauen! Ich schaffe das alleine, das weiß ich genau!“
Über
mir blieb es still. Ich biss mir auf die Lippen, während der Schmerz in meinen
Händen und Armen allmählich unerträglich wurde. Trotzdem gelang es mir daran zu
denken, was für eine tragische Ironie in dieser Situation lag: Genau so ein
Szenario hatte sich Rasmus vermutlich damals ausgemalt, darauf hatte er bei
unserem Ausflug in den Steinbruch gehofft. Die perfekte Gelegenheit für eine
Lebensrettung. Der ideale Weg, um sich vor den Richtern zu bewähren.
Ich
zuckte zusammen und wäre beinahe erneut abgerutscht, als plötzlich wieder
Rasmus‘ Stimme zu mir herunterdrang. „Okay“, sagte er, und durch die erzwungene
Gefasstheit klang es völlig ausdruckslos. „Du musst dich ganz langsam bewegen,
verstanden? Ein kleines Stück rechts von dir ist eine breite Kerbe im Fels, da
kannst du deine Füße als nächstes abstützen. Aber gut festhalten, während du
dein Gewicht verlagerst. Ich weiß nicht, wie stabil das hier ist.“
Ohne
zu zögern befolgte ich seine Anweisungen. Es fühlte sich an, als hätte ich
jegliche Verantwortung an Rasmus abgegeben, er übernahm jetzt das Denken für mich,
und alles, was ich tun musste, war, mich von seinen Worten leiten zu lassen.
„Von
hier an ist alles ziemlich glatt, da gibt es keinen Vorsprung mehr, auf den du
dich stellen könntest. Du musst dich das letzte Stück mit den Armen hochziehen,
in Ordnung?“
Ich
nickte langsam, den Blick starr auf die Felswand direkt vor meinem Gesicht
gerichtet. Ein letztes Mal prüfte ich die Festigkeit der Gesteinsstufe, an die
ich mich klammerte, dann stieß ich mich ab. Ich versuchte mich in die Höhe zu
stemmen, aber meine Muskeln zitterten erbärmlich unter meinem Gewicht, und
meine Arme schmerzten so stark, dass sie sich wie von selbst wieder streckten.
Verzweifelt tastete ich nach der Stelle, auf der ich zuvor gestanden hatte,
doch meine Füße baumelten ins Leere. Unter meinen verkrampften Händen rieselte
feiner Sand hervor und fiel lautlos in die Tiefe.
„Schau
mich an.“
Ich
hob den Kopf und versuchte durch einen Tränenschleier Rasmus‘ Gesicht zu
erkennen, einen sehr blassen Fleck gegen den dicht verhangenen Abendhimmel.
Seine Hände waren zu Fäusten geballt, aber er sprach ganz ruhig. „Ist schon
gut, du schaffst das. Lily? Nicht weinen, du brauchst jetzt deine ganze Kraft.
Aber du kriegst das hin, okay? Auf drei?“
Ich
antwortete nicht, doch während er redete, legte sich das Beben meiner Muskeln
allmählich. Als Rasmus zählte, spannte ich meinen Körper an und sammelte alle
Energiereserven, die ich im Sportunterricht noch nie unter Beweis gestellt
hatte. Mit einem kräftigen Ruck zog ich mich nach oben, ich schaffte es, ein Bein
über den Rand zu schwingen, und hievte mich dann auf den festen Boden.
Sofort
schlossen sich Rasmus‘ Hände um meine Oberarme, und er zog mich hoch. Ohne ein
Wort führte er mich die paar Schritte bis zum Höhleneingang zurück; erst, als
wir den Steg hinter uns gelassen hatten, drehte er sich zu mir. Ganz kurz
huschte sein Blick über meinen Körper, als wollte er sich vergewissern, dass
ich noch heil war, dann drückte er mich eng an sich. Sein Herz hämmerte so
stark gegen seinen Brustkorb, dass es sich anfühlte, als wäre es mein eigenes.
Nach
einer Weile brachte Rasmus schließlich hervor: „Ich verstehe das nicht – ich
hätte schwören können, dass diese Stelle stabil war. Immerhin bin ich vor dir
darübergelaufen …“
„Uncharmante
Bemerkungen über mein Gewicht sind jetzt absolut unangebracht“, versuchte ich
zu scherzen, aber es hörte sich ziemlich kläglich an. Rasmus umarmte mich noch
fester, bis es beinahe wehtat. Trotzdem nicht fest genug für meinen Geschmack.
Ich schmiegte mein Gesicht an seine Halsgrube, schloss die Augen und wartete
darauf, dass sich sein und mein Herzschlag beruhigte. Erst seine Stimme holte
mich schließlich in die Wirklichkeit zurück.
„Lily,
wir haben ein Problem.“
„Immer
noch?“, murmelte ich, ohne die Augen zu öffnen. „Ich dachte, mit Problemen
wären wir jetzt durch.“
„Wir
stehen immer noch auf einer Felsplattform, von der du nicht wegkannst, ohne dir
den Hals zu brechen“, erinnerte er mich. „Am besten, wir rufen nicht nur die
Polizei, sondern auch die Feuerwehr, damit die dich sicher hier runterholen.“
„Mhm“,
machte ich geistesabwesend.
„Ja,
aber ich
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