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Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)

Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)

Titel: Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kira Gembri
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hier wird nicht ganz einfach werden.“
    Nachdem
mein Enthusiasmus über meine wiedererlangte Freiheit ein wenig abgeflaut war,
erkannte ich, wie Recht er hatte: Ich erinnerte mich nur ungern an die
Kletterpartie am Tag unseres ersten Dates zurück, und damals war der Steinbruch
immerhin in das rotgoldene Licht der untergehenden Sonne getaucht gewesen. Nun
konnte ich nicht nur kaum sehen, wo ich hintrat, sondern musste außerdem
befürchten, in einer Pfütze vom vergangenen Regen auszurutschen. Dass sich
meine Knie dank der Betäubung immer noch etwas weich anfühlten, war ebenfalls
nicht gerade hilfreich.
    Beklommen
starrte ich auf den nassen Felsvorsprung, der von der Plattform wegführte. An
seinem Ende befand sich der Pfad, über den man ins Tal gelangte – wenn man sich
denn nicht vorher den Hals brach. Weil Rasmus diesen Steg allerdings so
leichtfüßig entlangbalancierte, als liefe er über ein Basketballfeld, kratzte
ich meinen Mut zusammen und folgte ihm. Dabei hielt ich den Blick auf seine
Füße geheftet und versuchte jeden seiner Schritte exakt nachzuahmen. Zwar hatte
ich keine Ahnung, ob Rasmus im Dunkeln besser sehen konnte als ich (oder war
das eher ein Vampirding?), doch es schien, als würde er jede Unebenheit
vorherahnen, um mich dann mühelos daran vorbeizuführen. Nach wenigen Metern fühlte
ich mich so sicher, dass ich das erste leise Knacken kaum wahrnahm – im
Gegensatz zu Rasmus. Er wirbelte herum und machte einen Satz auf mich zu,
während das Geräusch berstenden Gesteins und herabfallenden Schutts anschwoll,
ich sah noch in sein erschrockenes Gesicht, und dann kippte die Welt, als der
Boden unter mir wegbrach.
    Meine
Tasche schwang nach hinten und baumelte über dem Abgrund, bis ich sie
geistesgegenwärtig von meiner Schulter rutschen ließ. Mit einem Klatschen
trafen meine Schulbücher ein paarmal auf Ausbuchtungen im Fels, dann wurden sie
von der Schwärze unter mir verschluckt. In diesem Moment schoss mir ein
Erinnerungsfetzen durch den Kopf: Ich musste noch sehr klein gewesen sein,
vielleicht vier oder fünf Jahre alt, als mich meine Eltern auf eine Expedition
zu einer Burgruine mitgenommen hatten. Sobald sie voll und ganz mit
Fotografieren beschäftigt gewesen waren, hatte ich mich direkt vor die
verfallenen Zinnen gestellt und hinuntergestarrt – es war, als würde mich der
Abgrund magisch anziehen. Ein Schritt nur, ein kleiner Schritt … ein Sturz aus
dieser Höhe war etwas so unglaublich Endgültiges. Was mich damals fasziniert
hatte, brachte mich nun dazu, vor Panik nach Luft zu ringen, während ich die
Finger in den Stein krallte. Die Spitzen meiner Turnschuhe schabten über die
Felswand, doch anstatt Halt zu finden, lösten sie nur einige Trümmer, die
mehrere Sekunden lang talwärts polterten. Unter Aufbietung all meiner
Willenskraft verbot ich mir, ihnen mit dem Blick zu folgen, und sah stattdessen
nach oben. Etwa einen Meter über mir kauerte Rasmus auf dem Boden und streckte
die Hand nach mir aus.
    Endlich
fand ich meine Stimme wieder. „Fass mich nicht an!“, schrie ich zu Rasmus
hinauf, und es klang so scharf, dass er reflexartig zurückzuckte. Dann kroch er
allerdings noch näher an den Rand des Abgrunds heran und ließ seinen Oberkörper
über die Felskante gleiten, bis er mich beinahe zu fassen bekam.
    „Nicht
bewegen, ich hab dich, ich hab dich gleich“, stieß er so schnell hervor, dass
die Worte ineinanderflossen und kaum zu verstehen waren. Mit dem rechten Fuß
fand ich einen winzigen Vorsprung, auf dem ich mich abstützen konnte, während
ich mich langsam hochtastete. Rasmus‘ ausgestreckte Hand ignorierte ich dabei
komplett. „Lily …“, setzte er an, aber ich unterbrach ihn sofort.
    „Geh
zurück“, fauchte ich, „und wehe, du sagst jetzt etwas wie ‚Nimm meine Hand‘
oder ‚Ich lass dich nicht los‘! Hast du kapiert, wag es ja nicht, mich zu
retten!“
    Der
Vorsprung zerbröckelte unter meinen Füßen, und ich schrie auf, als mein
gesamter Körper ein Stück nach unten sackte. Meine Hüftknochen schrammten über
den Fels, und kleine Steinchen gruben sich unter meine Fingernägel, doch ich
konnte mich gerade noch festklammern.
    Rasmus
stieß einen gequälten Laut aus. „Bitte lass mich dir helfen, komm schon ,
Lily, bitte !“ Ganz kurz streiften seine Finger meinen Handrücken, und der
flehende Ton in seiner Stimme trieb mir die Tränen in die Augen.
    „Du
hast es mir versprochen“, schluchzte ich und presste mich gegen die Felswand,
als

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