Verbannt zwischen Schatten und Licht (German Edition)
den er am Ende des Satzes angeschlagen hatte, jagte mir einen eisigen
Schauer über den Rücken. Trotzdem dauerte es einige Sekunden, bis ich den Sinn
seiner Worte erfasst hatte. „Du hast also ihren Willen beeinflusst?“, fragte
ich dann angewidert. „Das war nicht nur absolut abscheulich von dir, du hast
sie damit auch noch in Gefahr gebracht!“
Sam
schnaubte höhnisch. „Herzlichen Dank, das weiß ich inzwischen auch. Ich habe
zwar bekommen, was ich wollte – und ich möchte betonen, dass das der übliche
Lauf der Dinge ist –, aber es gab ein paar … Komplikationen. Wer hätte auch
gedacht, dass ihr Menschlein so zerbrechlich seid? Es hat sich herausgestellt,
dass ich ihren Geist ein bisschen zu sehr verwirrt hatte, und die Konsequenzen
sind dir bekannt.“
Unwillkürlich
grub ich die Finger in die rissige Baumrinde hinter mir, als könnte mir das
irgendwie Halt geben. „Dann war es gar nicht Rasmus‘ Schuld, dass sie gestorben
ist“, flüsterte ich und dachte mit wachsendem Entsetzen daran zurück, wie
Rasmus mir von Sophie erzählt hatte. Seine Stimme war so ausdruckslos gewesen,
während sein Blick den Kummer und die unendlichen Schuldgefühle verraten hatte
– Schuldgefühle, von denen er wegen einer Tat gequält wurde, die ein anderer
begangen hatte. Ich spürte, dass ich Sam dafür zu hassen begann, mit einer
Stärke und Rücksichtslosigkeit, die ich mir gar nicht zugetraut hätte.
„Nein“,
bestätigte er jetzt, und seine Miene verdüsterte sich ein wenig, „aber er trägt
für etwas anderes die Schuld. Der Idiot musste ja gleich zu den Richtern rennen
und alles gestehen, und dabei hat er in seiner grenzenlosen Aufrichtigkeit auch
erzählt, dass ich in die ganze Sache involviert war. Das hat für mich ebenfalls
Verbannung bedeutet.“
„Und
das schiebst du alles Rasmus in die Schuhe?!“
„Tja,
weißt du“, erwiderte Sam, und das süffisante Grinsen kehrte auf sein Gesicht
zurück, „Petzen kann wirklich niemand leiden.“ Er beobachtete mich aus leicht
zusammengekniffenen Augen, und ich ahnte, dass es ihm eine diebische Freude
bereitet hätte, wenn ich vollends die Nerven verlor. Um ihm diese Genugtuung
auf keinen Fall zu verschaffen, presste ich die Lippen zusammen und bemühte
mich, seinen Blick stoisch zu erwidern. Als mir dann allerdings eine Frage
durch den Kopf schoss, war es mit meiner Zurückhaltung gleich wieder vorbei:
„Aber
Rasmus hat dich doch immer wieder in der Schule gesehen! Und da schien er dich
nicht zu kennen!“
„Offenbar
hat er doch nicht das gesamte Engel-Insiderwissen an dich weitergegeben“,
meinte Sam milde. „Mit der Verbannung verlieren wir nicht nur unsere Flügel,
sondern auch die Fähigkeit, andere Gefallene als solche zu erkennen. Damit soll
verhindert werden, dass wir uns verbünden – oder, dass einer am anderen Rache
nimmt. Ich habe bloß gewusst, dass Rasmus nur ein wenig früher als ich und an
demselben Ort in der irdischen Welt gelandet war: in diesem Steinbruch, wo
niemand einen Herzinfarkt bekommen konnte, wenn er uns aus dem Nichts auftauchen
sah. Anderthalb Jahre habe ich damit vergeudet, ihn an verschiedenen Schulen in
der Stadt zu suchen, und dabei hätte ich doch ahnen müssen, dass er sich die
exklusivste Lehranstalt aussuchen würde. Wieso nur unter Menschen gehen, um
sich vor den Richtern zu bewähren, wenn man dabei auch etwas lernen kann?“
Die
Geringschätzung, mit der er von Rasmus sprach, verstärkte meinen verzweifelten
Wunsch, irgendetwas zu tun – aber außer ihn anzuspucken fiel mir nichts ein.
Und dabei würde ich wahrscheinlich nur meine eigenen Schuhe treffen. Obwohl Sam
meine düsteren Überlegungen bestimmt erahnen konnte, fuhr er unverdrossen fort:
„Als
Eric auf der kleinen Party bei dir zu Hause von Rasmus erzählt hat, bin ich
gleich hellhörig geworden, aber ich habe meine Hoffnungen schnell wieder
verworfen. Am nächsten Tag konnte ich mich im Sportunterricht allerdings selbst
von seinen erstaunlichen Fähigkeiten überzeugen …“
„Und
das hat dich derart schockiert, dass du mich fast mit der Reckstange erschlagen
hättest“, schloss ich bitter.
Er
machte eine wegwerfende Handbewegung. „Stimmt, das wäre um ein Haar
schiefgegangen. Und damit nicht genug, hat Rasmus mitangehört, wie du dich bei
der Schulärztin als Unfallmagnet geoutet hast. Als ich erfahren habe, dass du
dich mit ihm verabredet hattest, war mir sofort klar, was er vorhatte: dich zu
einem riskanten Unternehmen zu überreden,
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