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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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einen Streich: Er fand seinen Ehering darin. Das Gold war warm und kühlend zugleich. Wann hatte er ihn zum letzten Mal getragen? Es war schon eine Weile her, irgendwann vor der Jagd. Warum trug er ihn immer noch mit sich herum? Nur weil er nicht wusste, was zum Kuckuck er sonst damit anfangen sollte.
    Er steckte ihn an. Hielt die Hand von sich weg, wie ein Jungvermählter. Schloss Daumen und Ringfinger zum Kreis. So fing ein Schattentier an, das Ness immer toll gefunden hatte. Was war es noch gewesen? Ein Esel oder eine Ziege.
    Er zog den Ring übers Gelenk nach vorn, ließ ihn vom Daumennagel zur Fingerspitze wandern. Spürte, wie er an der Kontaktstelle hing. Ließ ihn über dem Wasser baumeln.
    Seine Gedanken schweiften ab, nicht zu Emine oder Ness, auch nicht zu Natsuko, sondern zu Missy. Ihre Augen im Dunkeln mit dem Grünlicht dahinter.
    Notwendig, die Lüge, auch das. Notwendig wie Salz.
    Er ließ den Ring los. Verlor ihn aus den Augen, bevor er auftraf. Falls er einen Platscher machte, ging er im Getöse der aufgewühlten Wassermassen unter, in ihrem Rauschen und Brausen. Den vielen Klangschichten. Irgendwo das Knirschen eines Steins, hin und her geworfen im Flussbett.
     
Missy meldete sich krank, per SMS an Chrystos, und schickte eine ellenlange Liste von Anweisungen mit, die sich von den Ausländern nur Ben bis zu Ende anhörte. Die anderen verzogen sich hierhin und dorthin; Eleschen und Jason gaben sich dem Nichtstun hin, Eberhard marschierte mit Max zum Schädelraum, Chrystos und sein Bruder blieben grimmig blickend am Platz, und Themeus beobachtete sie alle, verdrossen kichernd, aus großen, weiß leuchtenden Augen.
    Zunächst arbeitete Ben, wie von Missy gewünscht, bei der Fundhütte, aber gegen Mittag gab es dort nichts mehr zu tun, so dass er schließlich in der neuen Grube bei Natsuko und Jason landete. Eleschen hatte sie den »Schweinestall« getauft, und der Name war geblieben, so wie bei Laco, auch als klar wurde, dass er keineswegs passte, nachdem Jason Beweisstück um Beweisstück für eine weitere Kombination aus Müllkippe und Misthaufen zutage förderte: den zertrümmerten Fuß einer Amphore, zwei polierte Geschirrscherben, das schmale Schulterblatt einer Ziege, mit Einkerbungen von Reißzähnen verunziert. Die Ergebnisse der Magnetometrie hatten Missy hoffen lassen, noch auf mehr zu stoßen – das umliegende Areal erschien stark verfärbt, ein Braunton wie getrocknetes Blut, der in Blau überging –, aber bisher hatten sie nichts aus Eisen oder Stein gefunden, was ihren Optimismus rechtfertigte. Dennoch arbeitete es sich gut dort, ohne große Anstrengung; so nahe beim Wald war die oberste Erdschicht lockerer, mit Kiefernnadeln durchsetzter Lehmboden, und die Bäume selbst standen weit genug weg, dass die Grabenden sich nicht durch schweres Wurzelwerk kämpfen mussten.
    Natsuko saß mit gekreuzten Beinen im Gras und siebte Erde in einen Eimer zwischen ihren Schenkeln. Jason grub, das Hemd um die Hüften geschlungen. Es war ein heißer, trockener Tag; zum Schutz gegen den Staub hatten sie alle Taschentücher vor Nase und Mund, wie Banditen. Seit einer Woche hatte es nicht mehr geregnet. Die örtlichen Zeitungen warnten eindringlich vor Waldbränden und den Gefahren der Erderwärmung.
    Bei der Arbeit redeten Natsuko und er nicht viel. Jason bestritt die Unterhaltung für sie beide mit. Seine Monologe und Tiraden waren in der vergangenen Woche immer nerviger und heftiger geworden, ein permanentes Hintergrundgeräusch, das alle Gesprächsversuche im Keim erstickte.
    »Ich hab mal in einer Höhle in Marokko gearbeitet. Ich allein mit sieben Spanierinnen. Das Geld war nicht der Rede wert, aber ich wollte mal wieder ein bisschen Spaß haben. Davor hatte ich nämlich einen Job bei so amerikanischen Ethnologen, wo man im ›natürlichen Kontext‹ leben muss. Das war da oben im Hochland von Papua-Neuguinea. Jungsteinzeitkontext, aber die zahlen so gut, dass ich mir denke, okay. Die ersten zwei Monate kriegen wir kein bisschen Eiweiß. Wir sollen Wildschweine mit Waffen aus der Jungsteinzeit jagen. Also wir am ersten Tag raus, und da sind die Schweine auch schon, kein Problem, aber dann gehen die Biester auf uns los. Riesenhauer, Mordsgebrüll, das volle Programm. Nicht so direkt das, was man erwartet hätte; eher wie was aus Doctor Who . Danach kriegen zwei von uns so eine Art Schweinephobie, das heißt, wir sind bei der Jagd nur noch zu sechst. Wir ziehen jeden Tag los, sehen aber bloß noch die

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