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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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zurückgehen sollen. Jetzt war es wahrscheinlich zu spät, und es wäre auch über seine Kräfte gegangen. Er wäre jetzt auch nicht mehr zurückgegangen, wenn er gekonnt hätte.
    Es dauerte noch eine Weile – wie lange, hätte er nicht sagen können –, bis der Platzregen nachließ. Als das Prasseln auf den Dachziegeln fast aufgehört hatte, ging er hinaus und blieb unter dem Dachvorsprung stehen.
    Der Regen zog nach Westen ab. Plötzlich schien die Sonne. Fröstelnd verließ er seinen Unterstand. Über dem Tal standen Regenbögen, tief geduckt zwischen Bergen und Wolken.
    Er ging weiter den schmalen Weg bergan. Der Schlamm war tückisch. Voller Oliven und Schrotmunition. Ein Labyrinth von Pfützen und Traktorspuren. Kilometer weiter unten der glänzende Fluss. Der Klang von Ziegenglöckchen auf den hoch gelegenen Weiden. Das Hemd, das auf seinem Rücken trocknete. Die Sonne auf seinem Kopf ein Segen.
    Und dann weiter vorn Stimmen. Eine Frage wie Vogelgesang, gestellt und antwortend erneut gestellt. Ein grünes Plateau zwischen grünen Hügeln. Ein Guerillacamp unter Bäumen. Menschen, die vom Boden aufstanden, jählings und seltsam wie Kentauren. Unter ihnen Eberhard, das Gesicht kalt im Wegdrehen. Ein blondes Mädchen mit Bluejeans und Terminator-Sonnenbrille. Ein Ding wie eine Pyramide am Rand der Hochebene, eine Ruine wie etwas aus Mexiko Eingeflogenes. Eine Frau schwenkte einen Hut, einen lächerlichen schlappenden Sonnenhut, und rief über das Gras, die wilden Tulpen und die Alpenveilchen.
    »Sind das Sie? Sind Sie Ben Mercer? Oh, Ben , Sie haben’s geschafft! Wir sind ja so froh, dass Sie’s geschafft haben! Wir warten schon so lange auf Sie!«
     

VII
     
    Schaufelaffe Nummer fünf
     
    Ben!«, sagte die Frau mit dem Schlapphut erneut, als wäre das der verehrungswürdigste Name der Welt. »Ich bin’s, Missy! Missy Stanton. Wie schön, Sie zu sehen. Wo haben Sie denn bloß gesteckt?«
    »Ich hab gewartet«, sagte er (wie dümmlich das klang; seine Lippen waren taub).
    »Gewartet?«, fragte sie und lachte, umarmte ihn, hielt ihn von sich weg – als wären sie Verwandte, die sich jahrelang nicht gesehen haben, als hätte sie vor, ihn zu küssen oder ihn zu schütteln, damit er zu Verstand kommt; als wollte sie nicht Wo sind Sie gewesen? fragen, sondern Wo sind Sie mein Leben lang gewesen?
    »Gewartet worauf? Haben Sie kein Taxi gefunden? Sind Sie den ganzen Weg hier rauf zu Fuß gegangen? Warum? Schauen Sie sich nur an, Sie sind ja völlig verlottert.«
    »Verlottert«, sagte er und lachte mit ihr, seine Stimme seltsam wie ein Echo. »Ja, tut mir leid, das bin ich wohl.«
    »Sie brauchen sofort was Trockenes zum Anziehen. Und Sie müssen raus aus dem Wind. Sind Sie okay?«
    »Ja, keine Sorge, ich bin nur…«
    »Ihre Sachen! Die Jungs können Ihnen was leihen, denke ich. Sie sind ungefähr so groß wie Jason… Ist wirklich alles in Ordnung mit Ihnen?«
    Sie rang die Hände. Er konnte sich nicht erinnern, das jemals bei irgendwem gesehen zu haben. Es wirkte so verschroben, dass es ihm stellvertretend für sie peinlich war. Nein, bitte, mir fehlt wirklich nichts , sagte er, doch er hatte kaum angesetzt, als der Wind auffrischte, das Gras hell glänzend platt drückte und Bens Kleider an seine Haut presste, so dass seine Zähne zu klappern anfingen und schon das Nein nur noch gequetscht herauskam, die Kälte glatt durch ihn hindurchging und der letzte Anflug von Heiterkeit aus Missys Gesicht verschwand, so als sei sein Fleisch porös geworden.
    »Das stimmt doch gar nicht, oder? Ach Gott, nein… Wir müssen Sie unter Dach bringen. Dann geht es Ihnen gleich besser, versprochen. Jungs? Jungs!«
    Sie wandte sich von ihm ab und rief über das Gelände. Es waren Ausgrabungen an beiden Enden des Plateaus im Gang, und überall waren Menschen. Sie hatten bereits begonnen, in Zweier- und Dreiergrüppchen herunterzukommen. Einen Moment lang schämte er sich – seine Ankunft als Witz, das Gegenteil von dem, was er sich erhofft hatte –, und dann war da nur noch befreiende, ergebene Erleichterung.
    Er sah wieder Eberhard. Das Mädchen mit der Terminator-Sonnenbrille ging neben ihm, sie steckten die Köpfe zusammen und sprachen hektisch miteinander. Ein zweites Mädchen schlenderte hinter ihnen her, eine traurigere Gestalt, blass und matt in einem Hello-Kitty-T-Shirt. Dann standen sie um ihn herum, fast ein Dutzend Leute, aber alle bis auf Missy hielten sich zurück, als wäre er ein exotisches Tier, eine Kreatur,

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