Verborgen
Sattels standen zwei Holzhütten mit Spitzdächern und Doppeltüren, teure Dinger mit Kunststofffenstern. An den windabgewandten Seiten waren nicht dazu passende gestreifte Markisen angebracht, unter denen Klapptische und -stühle standen. Auf dem Gipfel des zweiten Hügels, nicht weit vom Menelaion, stand Jason über ein geodätisches Stativ mit Laserlot gebeugt, fast bewegungslos, den Blick auf die Anzeige gerichtet. Auf der am weitesten entfernten Anhöhe stand eine Kapelle, viel kleiner als die, in der er sich untergestellt hatte, ein winziges Ding mit einem breiten Vordach und einer Glocke unter dem Giebel.
Es waren nur drei Frauen in dem Team: das Mädchen, bei dem es sich wohl um Natsuko handelte, die andere, die Eleschen hieß, und Missy. Ihre Arbeit führte sie anscheinend oft in die Hütten, wobei Missy, ein Ausbund an Energie, überall zugleich war: Sie grub und siebte, wusch und schleppte. Die sieben Männer kamen und gingen, manchmal allesamt außer Sicht in den Gruben. Er sah Eberhard, der zwischen den Ruinen umherstakte, und den Ringer unterhalb des Heiligtums, flach ausgestreckt, die Arme unter der Erde. Die anderen waren dem Anschein nach alles Griechen – sie waren formeller und weniger jugendlich angezogen als die Ausländer, ihre Gesichter glattrasiert, sonnengebräunt und verwittert.
Niemand sagte offenbar irgendjemandem, was er zu tun hatte. Auch das war unerwartet. Die Oxforder Ausgrabungen, an denen er teilgenommen hatte, waren bis ins Letzte durchorganisiert und durch streng militärische Hierarchien gekennzeichnet gewesen. Nur einmal sah er Missy eine Anweisung geben, worauf einer der Griechen Schubkarren aus einer der Hütten holte. Ansonsten gingen alle in stillschweigendem Übereinkommen ihrer Arbeit nach, ohne je ein Wort mit ihrer Chefin zu wechseln. Eberhard und Natsuko arbeiteten alleine, Sauer in Splendid Isolation, das Mädchen kläglich über die Arbeitstische unter den Markisen gebeugt. Dann regnete es wieder, und ein paar Minuten lang zogen alle gemeinsam Folien über einen abgelegenen Graben, ganz plötzlich so diszipliniert wie Seeleute, der Himmel über ihnen mit Wolken marmoriert.
Hinten im Auto fand er einen Plan der Ausgrabungsstätte; die einzelnen Grabungen waren freihändig mit Bleistift eingezeichnet und beschriftet, viel präziser, als er es je zustande gebracht hätte. Da waren der Sattel und die drei kleinen Hügel, der Nordhügel, der Aetos-Hügel und die Elia-Anhöhe. Das umliegende Gelände war dicht bedeckt mit den Namen von Ruinen und hundert Jahren Ausgrabungen; die Erde war hier Jahrzehnt für Jahrzehnt umgegraben und wieder zugeschüttet worden, und die neuen Gruben hatten dünn eingezeichnete Arbeitstitel wie Herdgrube , Bronzegraben, Osthalde, und darum herum und darüber waren Konturlinien, Kontextnummern und stratigrafische Angaben. Das Ganze war so verwirrend und kreuz und quer überschrieben, dass man es für verschlüsselt hätte halten können. Am unteren Rand stand ein Name, präzise wie eine Grabinschrift und so winzig, dass ihn die Augen schmerzten, als er es zu lesen versuchte.
Matsumoto Natsuko
Sparta,
Februar 2004
Er war immer noch über den Plan gebeugt, als die Tür neben ihm aufging, so dass er beinahe hinausgefallen wäre und der Wind an der Zeichenfolie zerrte. Missy beugte sich herein.
»Mann, Sie sehen ja vielleicht aus. Jetzt müssten Sie nur noch Jasons Größe haben.«
Sie verzog angewidert den Mund. Er hielt die flatternde Karte fest und begann, sich zu entschuldigen, aber sie fiel ihm ins Wort.
»Nein, schon gut, passt alles prima. Hören Sie nicht auf mich. Wie fühlen Sie sich so?«
»Schon viel besser, danke.«
»Freut mich für Sie. Kann ich mich da reinquetschen?«
Sie versuchte es, bevor er antworten konnte. So aus der Nähe wirkte alles an ihr zu groß: ihre Stimme, ihre Yankee-Gesundheit, die breiten Knochen ihres Gesichts im sommersprossigen Schatten des Strohhutes.
»Ben, ich hab gerade erfahren, wie das mit unserer Nachricht gelaufen ist. Es tut mir sehr, sehr leid. Ich will mir gar nicht vorstellen, was Sie jetzt von uns denken. Es war so: Natsuko sollte sie an der Rezeption für Sie hinterlassen, weil sie jeden Morgen in Ihrem Hotel schwimmen geht, aber ihr war heute nicht gut, deshalb hat sie’s gelassen, und dann… na ja, dann hat sie’s einfach vergessen. So was ist sonst gar nicht ihre Art. Es ist ihr peinlich, und sie schämt sich furchtbar. Ich glaube, es tut ihr so leid, dass sie Ihnen
Weitere Kostenlose Bücher