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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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dich dann in dieses Dreckloch verschlagen?«
    »So schlimm ist es mir nicht vorgekommen.«
    »Nein? Na, wart’s ab«, murmelte Jason und inspizierte seine Zigarette, als hätte sie einen Defekt. »Das ist hier wie bei der Fremdenlegion, da geht keiner hin, wenn er nicht muss. Wie hast du von uns erfahren?«
    »Weiß ich nicht mehr.«
    »Komm schon, jetzt schnapp nicht gleich ein.«
    »Okay, aber dann sei du auch nicht so sarkastisch«, sagte er, gegen seinen Willen den Köder schluckend, und Jason kicherte und hob die Hände.
    »Einverstanden, kein Sarkasmus mehr. Bei meinem Leben.«
    »Eberhard hat gesagt, dass hier unten was läuft, und ich hatte gerade kein…«
    »Eb hat dir von uns erzählt?«
    Da war es wieder, dieses Uns . Das hatte er schon einmal gehört. Von Eberhard, an dem Abend in Metamorphosis, genau das gleiche, leicht dahingesagte Uns .
    »Er hat nur gesagt, dass es eine Grabung gibt.«
    »Und da bist du nun.«
    Jason lächelte noch immer, fast noch mit der gleichen Intensität. Seine Zigarette war unbemerkt ausgegangen. Seine Augäpfel waren sehr weiß in seinem staubig gebräunten Gesicht.
    »Und was ist daran nicht in Ordnung?«
    Jason zog die Brauen hoch und schaute auf seine Uhr. »Sieht Eb gar nicht ähnlich, dass er so gesprächig ist, das ist alles. Jedenfalls bist du jetzt komplett ausgerüstet. Ich soll dir von Stanton sagen, du sollst es langsam angehen. Bleib noch eine Weile hocken und trink eine schöne Tasse Tee. Später kannst du dann kommen und ein bisschen graben, wenn du dich dazu in der Lage fühlst. Ich an deiner Stelle würde es erst mal lassen. Genieße es, solange es geht, Kumpel. Ruh dich aus und denk an England. Wir sehen uns später, ja? Keine Rast für den bösen Schaufelaffen.«
    Er zwinkerte und hielt ihm erneut die Hand hin, wartete ewig, bis Ben sie ergriff, und tat dann spöttisch-formell wie ein Grenzbeamter, der einen Pass zurückgibt.
    »Willkommen in Sparta, Mr. Mercer. Wir hoffen sehr, dass Sie Ihren Aufenthalt genießen.«
     
Er ruhte sich aus und dachte an England. Er war jetzt einen Monat weg. Es kam ihm wie ein Augenblick und zugleich wie eine Ewigkeit vor. Ein Teil von ihm war immer noch dort, und dennoch war es ihm unmöglich, sich über diese weite Entfernung zurückzudenken.
    Er erinnerte sich an Oxford an jenem letzten Morgen. Der Nebel zog durch die Straßen zu den Flüssen, der Themse und dem Cherwell, dem Evenlode und dem Ock. Die Stadt war immer verschwiegen, und sie war es umso mehr zu dieser Stunde, da sie schlief, ihr Areal voller unsichtbarer Höfe und Kreuzgänge, ihre Unterkünfte und Treppenhäuser voller Menschenleben in der Schwebe, in Wartestellung bis zum Morgen.
    Er dachte an Emine und ihren Brief und dann, mit zunehmender Schärfe, an Nessie, die nun schon einen Monat älter geworden war, ohne dass er dabei zugesehen hatte. Er fragte sich, wie lange es dauern würde, bis sie sein Gesicht vergaß, so wie er schon fast das seines Vaters vergessen hatte. Er versuchte sich an ihres zu erinnern. Es war klar bis zu dem Moment, in dem er es sich vorzustellen versuchte. Je mehr er sich anstrengte, desto verschwommener wurde es. Sie schwand vor seinen Augen dahin wie Morgennebel.
    Er trank den süßen Tee und sah den anderen beim Ausgraben zu. Er hatte sich in Oxford mit Therapne befasst und seine angelesenen Kenntnisse in Athen aufgefrischt, aber die Wirklichkeit lockte ihn aus der Reserve. Er erkannte die Beschaffenheit des Geländes, die Hügel und den Sattel, der zwischen ihnen verlief. Er kannte die Geschichte der Ruinen, der Paläste, Heiligtümer und Gräber, die eins über dem anderen angelegt worden waren, wie Korallen, die Lebenden über den Toten. Doch das Grün der besonnten Hänge, die leuchtenden Farben der Frühlingsblumen und hinter den Zikkuratstufen des Menelaions die klare Luft über dem Tal, die Stadt unten, dahinter die Berge mit ihren verschneiten Gipfeln… Es war spektakulär. Nichts in seiner Lektüre hatte ihn darauf vorbereitet.
    Das Ausgrabungslager glänzte durch Hässlichkeit. Überall Schlamm, Dreck und Staub. Ein Transit-Lieferwagen und diverse andere Autos waren in einem Zypressenhain abgestellt. Daneben stand etwas schief ein Containex-WC. Vier Männer waren mit dem Feingefühl von Straßenbauarbeitern in zwei Gruben zugange. Eine dritte Grube war leer, die sauber gefegten Terrassen so akkurat wie jede Ausgrabung, die er während seiner kurzen Gastspiele bei Oxforder Grabungen gesehen hatte. In der Mitte des

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