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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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Stellen Sie sich vor, die haben ein paar Scheiben davon ausgegraben, an einer Stätte aus dem siebzehnten Jahrhundert, und die waren noch essbar! Ich weiß natürlich nicht, ob sie sie tatsächlich gegessen haben, aber wahrscheinlich schon, weil woher hätten sie’s sonst gewusst? Jedenfalls, so schmecken die Dinger da auch, wie vierhundert Jahre altes Brot. ›Essbar‹ ist ein dehnbarer Begriff. Sagen Sie nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt. Eberhard mag ihn. Ich persönlich würde lieber Insektenmittel essen.«
    Er zog eine Jack-Daniel’s-Flasche aus dem Haufen und hielt sie gegen das Licht.
    »Schwarzgebrannter. Hab mir gedacht, Sie könnten einen Schluck davon gebrauchen. Chrystos macht ihn selber. Aber übertreiben Sie’s nicht, sonst müssen wir nachher Ihr Gehirn aus der Polsterung ausbuddeln.«
    Er schraubte die Flasche auf und trank vorsichtig. Augenblicklich war sein Mund voll von Anisgestank, und die Dämpfe stiegen in seine Nebenhöhlen. Der Hals wurde ihm zugeschnürt, und er beugte sich hustend vor, spürte, wie ihm die Flasche aus der Hand genommen wurde, hörte ein verächtliches Schnauben und das Geräusch kräftiger Schlucke aus der Flasche und schaute gerade noch rechtzeitig auf, um zu sehen, wie sich Missy den Mund abwischte.
    »Sie werden sich dran gewöhnen. Essen Sie erst was. Sie essen, und ich rede, das kann ich am besten. Hat Ihnen diese Frau Fischer gesagt, was wir hier machen?«
    »Nicht so richtig.«
    »Nicht, dass sie was davon verstünde, sonst hätte sie uns finanziert. Ben, was wir hier machen, ist wirklich wichtig. Eigentlich kennt sich hier nämlich kein Mensch aus. Ist das Haus auf dem Nordhügel wirklich der Palast des Menelaos? Wenn wir unter dem Heiligtum graben, finden wir dann Helena? Den Schädel, der tausend Schiffe in See gehen ließ? Ganz zu schweigen vom klassischen Sparta, davon hat nun wirklich kein Mensch eine Ahnung. Sparta ausgraben ist, als versuchte man, Blut aus einem Stein zu quetschen… Fischer würde das ohnehin sagen, diese alten Kämpen sehen ja immer alles schwarz, aber sie wissen nicht, wie stark wir quetschen werden, sie wissen nicht, dass wir diese Steine entsaften werden. Im Moment suchen wir also nach sekundären Fundstellen rund um die Hauptgrabungsplätze. Das bedeutet, diese Saison hier und im Heiligtum der Artemis Orthia, und anschließend dann die Akropolis und Amyklai, falls ich noch einen edlen Spender finde. Wir arbeiten dieses Jahr lange, insgesamt neun Monate, bis Oktober. Lange Arbeitstage, sechs Tage die Woche, aber jeder Fund lässt es der Mühe wert erscheinen. Also, bereit zum Entsaften?«
    »Jetzt?«
    »Natürlich jetzt, es geht Ihnen ja schon wieder besser. Schauen Sie, ich habe die Ärztin angerufen, und sie hat gesagt, wir sollen dafür sorgen, dass Sie sich aufwärmen und ausruhen, dann geht’s Ihnen wahrscheinlich wieder gut. Das haben wir getan, und es geht Ihnen gut. Wahrscheinlich. Außerdem geht zum Warmwerden nichts über Arbeiten, stimmt’s? Was haben Sie drauf? Sie sind doch aus Oxford? Archäologie und Kulturanthropologie? «
    »Klassische Archäologie«, sagte er, die Augen noch immer tränend von dem selbst gebrannten Schnaps, und Missy zog ihre gestreifte Nase kraus, als müsste er sich seiner Ausbildung schämen. »Ich hab schon bei Ausgrabungen mitgemacht. Und ich kann auch katalogisieren.«
    »Ja. Aha. Komisch, aber alle wollen katalogisieren. Das ist der Zuckerguss auf der Torte, mein Freund, das Sahnehäubchen. Was noch?«
    »Ich kann zeichnen.«
    »Können Sie graben?«
    »Natürlich kann ich graben.«
    »Mein Held«, sagte Missy, beugte sich vor und gab ihm ein Küsschen auf die Wange. Ihr Atem roch immer noch nach Anis. »Wie gesagt, Sie werden sich perfekt einfügen. Also, sind Sie bereit, Löcher in die Erde zu hacken?«
    Sie hielt ihm wie einem feinen Herrn die Tür auf. Er trat wieder in den Wind hinaus und war froh um Jasons zwei Textilschichten. Irgendwo spielte ein Radio, das auf einen griechischen Sender eingestellt war, aber nur leise: Er hörte trotzdem die in die klare Luft aufsteigenden Lerchen.
    »Stiefel«, sagte Missy entschieden, nahm ihn am Arm und bugsierte ihn zu dem Transit. Er setzte sich auf den Kotflügel, um sie anzuziehen, und beobachtete die anderen, während Missy weiterschwafelte. Die Gruppe hatte sich jetzt zerstreut, nur die Griechen arbeiteten paarweise zusammen, und nur der Ringer – Max? – schien Notiz von ihm zu nehmen, denn er schaute vom Rand des Loches auf, an dem er

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