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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias Hill
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Ben.«
    »Wofür?«
    »Für das Netteste, was seit Wochen jemand zu mir gesagt hat.« Sie beugte sich vor und umarmte ihn. Dabei nahm er ihren Geruch wahr. Er hatte dieses Aroma vergessen – ein sommerlicher Duft nach Lotion und Salz. Er wollte auch einen Arm um sie legen, einfach nur, um ihre Geste zu erwidern, um sie zu trösten, doch in dem Moment löste sie sich schon wieder von ihm. Ihr Blick war offen gewesen. Jetzt war er unergründlich.
    »Wie bitte?«
    »Ich hab das ernst gemeint. Was ich gesagt habe, als Sie hier angekommen sind. Dass ich mich freue, Sie hier bei uns zu haben. Es geht mir nicht nur um die Ausgrabung. Das ist keine Anmache von mir, aber…«
    »Nein, natürlich nicht. Ich dachte nicht …«
    »Es tut wirklich gut, ein neues Gesicht hier zu haben. Das ist alles. Ich hoffe, Sie nehmen mir das nicht übel.«
    »Nein, überhaupt nicht. Ehrlich.«
    Sie streckte die Hand nach der Thermosflasche aus, beschäftigte sich damit, prüfte den Verschluss und presste dabei die Lippen fest aufeinander. Erst als sie lächelte, wurde ihm klar, wie nahe daran sie gewesen war, in Tränen auszubrechen. Sie fing sich, bevor sie wieder zu ihm aufschaute.
    »Tja, alsdann. Bis morgen. Schlafen Sie gut.«
    »Sie auch.«
    Er schaute noch einmal zu den Bergen zurück, und ging dann hinter ihr abwärts. Die Sonne war untergegangen. Die Höhlen waren verschwunden, ihre Eingänge lagen im Dunkeln.
     
Zehn Tage lang aß er mit den Brüdern zu Mittag. Nach Missys Tagesbesprechung nahmen sie sich ihren Anteil der bereitgelegten Speisen und zogen sich in ihre Grube zurück. Beim Essen ließen sie die Beine ins Erdinnere baumeln – dann waren ihre Füße viertausend Jahre in der Vergangenheit –, saßen dicht nebeneinander, um sich gegenseitig zu wärmen, teilten sich Oliven aus den Hainen der Maxis’ und sprachen über alles außer über die Arbeit: über Basketball und die Golfkriege, über Handys, das Schlachten von Lämmern und die Geheimnisse des Anbaus perfekter Zitronen.
    Das hatte ihm gefallen. Es hatte ihnen allen dreien gefallen, so sehr, dass Missy sie dafür gescholten hatte. Ihr seid mir vielleicht Helden! Sitzt da auf euren Hintern wie die drei weisen Affen. Kein Schaufeln sehen, kein Schaufeln hören, über kein Schaufeln sprechen. Siesta zu Ende, Amigos!
    Nach Mystras war es anders geworden. Von da an waren sie nicht mehr so unbefangen gewesen. Er hatte sich gefragt, was Chrystos wohl erzählt oder was er selbst an dem Tag falsch gemacht hatte.
    Nicht dass sie ihn im Stich gelassen hätten. Die Brüder gingen zur Grube zurück, und wenn Ben mitkam, gab sich Chrystos alle Mühe und dolmetschte für ihn, obwohl er sie inzwischen gut genug verstand. Sogar Giorgios war nicht mehr so wortkarg. Aber ihre Freundlichkeit wirkte jetzt gezwungen. Außerdem gab es inzwischen weniger Arbeit für ihn; die Herdgrube war ausgebeutet, ihr Umkreis war die tiefste Grabungsebene, darunter war nichts mehr außer kalter Erde. Am Freitag versetzte Missy ihn zur Osthalde, wo er mit Natsuko und Jason zusammenarbeitete.
    Er verzehrte sein Mittagessen allein. Jason war mit Max und Eberhard irgendwohin verschwunden. Natsuko saß mit Eleschen unter der gestreiften Markise vor dem Geräteschuppen. Wenn der Wind umsprang, hörte er hin und wieder Wortfetzen oder Gelächter. Am Morgen hatte Nebel geherrscht, die Erde in den Gruben war nass und klumpig gewesen – seine Fingerspitzen hatten sich bei der Arbeit wie Pflöcke angefühlt, und obwohl die Sonne den Nebel bis Mittag weggebrannt hatte, steckte ihm die Kälte noch in den Knochen. Er benutzte beim Essen beide Hände abwechselnd, steckte bald die eine, bald die andere Faust in die Tasche, die Nägel in die Handfläche gebohrt.
    Zwei Düsenjäger flogen über das Gebiet, schwarze Winkel, die ostwärts donnerten. Er saß in seine Jacke gehüllt und bemerkte Natsuko erst, als sie neben ihm stand und auf ihn herabsah.
    »Hallo«, sagte er, und sie lächelte mit ihren unregelmäßigen Zähnen.
    »Sie sehen aus, als wär Ihnen kalt.«
    »Ja, ich friere ein bisschen.«
    »Nein. Sehr.«
    »Stimmt. Wie ein Schneider.«
    Sie setzte sich neben ihn, so dass sie beide die alten Ausgrabungen der Villa am Nordhügel im Rücken hatten. Ihre Jacke war mit irgendeinem Fell besetzt, einem tiefschwarzen Pelz. Der Wind drückte ihn sacht an ihren bloßen Hals. Er sah die Pockennarbe an ihrem Ohr.
    Sie hielt ihm einen Beutel hin, eine glänzende Plastiktüte, die mit japanischen Schriftzeichen in

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