Verborgen
zurück. War er neugierig? Er empfand etwas. Eine Art zweischneidige Begeisterung. Einen unangenehmen Drang. Neugierig ja, aber nicht auf die Jagd an sich, sondern vielmehr darauf, mit den anderen zu jagen. Und eigentlich auch nicht neugierig, sondern eher… ja, was?
Dankbar. Das war es. Er war dankbar, dass man ihn fragte. Aus Stolz schreckte er davor zurück, aber es bestand kein Zweifel.
»Spielt aber auch keine Rolle. Ich wäre sowieso unnütz.«
»Warum?«
»Ich hab noch nie im Leben eine Waffe abgefeuert.«
»Ach nein? Tja, das ist ja das Schöne an Waffen, dass es so leicht ist. Du brauchst bloß zielen. Also?«
»Ich denk drüber nach.«
»Wie du willst«, sagte Jason, und dann schaute er weg, hatte die Einladung schon wieder vergessen; vielleicht auch widerrufen, wenn es überhaupt eine Einladung gewesen war; seine Aufmerksamkeit galt wieder der Tanzfläche, zwei Mädchen dort, die die Köpfe zusammensteckten und sich unterhielten, während sie sich zu einem langsamen synkopierten Rhythmus bewegten.
Ben empfand eine Art Bedauern. Er war enttäuscht von sich selbst, als hätte er eine andere Antwort geben müssen. Als hätte er eine Chance verpasst, die nie wiederkommen würde, und das erinnerte ihn an Emine und Ness, fünf Wochen und einen halben Kontinent entfernt, deren Leben immer noch ohne ihn weiterging, in einer anderen Welt.
Eines der Mädchen lächelte ihnen zu, sagte ihrer Freundin etwas ins Ohr, schüttelte den Kopf. Nicht hinsehen. Nicht hinsehen! Jason lehnte sich schließlich zurück und grinste, dann musterte er Ben, ohne zu lächeln.
»Und was ist das da?«
Er schaute an sich hinab. Aus irgendeinem Grund trug er seinen Ehering. Er war wieder in seiner Jackentasche gewesen. Er musste ihn befingert haben, wie er es so oft tat, wenn er Oxford oder seine Familie im Hinterkopf hatte. Das Gold war körperwarm, obwohl er sich nicht erinnern konnte, es angefasst zu haben.
»Wann ist der große Tag?«
»Sehr witzig.«
»Ja, allerdings. Ich hab mir gerade gedacht, wir könnten hier ein bisschen zusammen auf die Jagd gehen, so nebenbei, und dann hättest du was darauf sagen müssen. Aber du hast nichts gesagt, stimmt’s? Du hast das Reden deinen Fingern überlassen. Wie heißt sie denn?«
»Emine. Wir sind geschieden.«
»Seit wann?«
»Seit ich weg bin.«
»Mhm. Das tut mir leid«, sagte er, und Ben wollte Danke sagen, vor lauter Überraschung über Jasons Mitgefühl, doch der redete weiter. »Also, was bist du, Schwanz oder Fotze?«
»Wie bitte?«
»Hat sie einen Schwanz aus dir gemacht? Oder war es andersrum? «
»Ich versteh kein Wort.«
»Nein? Mein Alter hat sich dreimal scheiden lassen. Meine Mum war Nummer zwei. Er hat in der Garage neben den Kalendern und den Straßenkarten ein Bild von Heinrich VIII., und jedes Mal, wenn ich ihn sehe, sieht er dem fetten Schwachkopf noch ähnlicher. Das Komische ist allerdings, dass ihn nie eine rausgeworfen hat. Meine Mum trauert ihm immer noch nach. Es ist jedes Mal dasselbe Lied. Immer ist er derjenige, der geht.«
»Bei mir ist es anders. So einfach ist das nicht.«
»Wie du meinst«, sagte Jason, und dann, fast unhörbar in dem allgemeinen Krach in der Bar, Fotze , so dass für einen Moment die Antipathie wiederkam, als würden sie einander hassen, obwohl das genau genommen nicht der Fall war. In dem Punkt hatte er sich geirrt.
»Und du?«
»Ich? Nach was seh ich denn aus?«
»Nach einem Schaufelaffen«, sagte er, und Jasons Augen glitzerten in dem fiesen roten Schein der Lichter.
»Das sieht man nur, wenn man selber einer ist. Aber du hast recht. Ich lebe seit Jahren von Ausgrabungen. Im Winter irgendwo in einer warmen Gegend, und dann im Frühling mit den Schwalben zurück nach Europa. Ich war schon lange nicht mehr zu Hause. Da hat’s mir sowieso nie gefallen. Ekliges kleines Land. Ich hab die ganze Welt gesehen. Außerdem sind jede Menge Frauen in der Branche. Immer wieder mal hab ich die Schnauze voll von den Hotels und Tonnen von Schminke, aber von den Frauen hab ich nie genug. Schau uns doch an. Uns alle, mein ich. Die meiste Zeit weiß ich nicht, wo ich hinschauen soll. Und du?«
»Wie jetzt?«
»Wo schaust du hin? Du bist doch geschieden, also, auf welche hättest du’s abgesehen? Wenn du auch nur die geringste Chance hättest? Was nicht der Fall ist. Da geht’s dir wie mir.«
Es ging ihm auf die Nerven, in welchem Maß die anderen ihn in die Vergangenheit zurückbeförderten. Jason erinnerte ihn an die Londoner
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