Verborgen
kommen, doch sie lächelte nur und streckte erneut die Hand aus, diesmal gegen seine Brust. Sie stieß ihn nicht weg, sondern spreizte die Finger auf seiner Brust, wie um zu sagen, er solle noch ein wenig warten, oder als ob sie ihn vermessen wollte.
X
Aufzeichnungen für eine Doktorarbeit
Montag, 15.: heute keine Maxis-Brüder. Der Cousin wird in Athen aufgehalten, und die Oliven müssen geerntet werden. Die Oliven zu ernten (sagen die Griechen) ist wichtiger, als Krieg zu führen.
Kreuzwort kam persönlich mit meinem Weckruf und Chrystos’ Entschuldigung. Für schlechte Nachrichten braucht man den Zimmerservice. Sie hatte ihre Augen überall, zwei graue Mäuse, die noch hinter den kleinsten Fitzelchen Unglück herhuschten.
Eberhard hat mich hinaufgefahren. Ich ging zu ihm, und es war noch Zeit. Wir redeten über nichts Besonderes. Wahlen und Politik. Fast wie Freunde.
Er hat gute Bücher. Ich habe das gefunden:
Alle Henker sind von derselben Familie.
Und musste an das denken:
Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich, jede unglückliche Familie ist unglücklich auf ihre Weise.
Alle Extremismen sind einander ebenfalls ähnlich. Heißt das, dass alle Extremisten glücklich sind?
Sparta mit seiner Verschwiegenheit, seiner vollkommenen, prähistorischen Kraft, seiner arroganten Brutalität, seinen zahllosen Göttern, seinen jungen Männern, die nachts auf die Straßen gehen, um die Stärksten und die Tüchtigsten zu erschlagen , seinen Müttern, die sich von greinenden, dem Untergang geweihten Wickelkindern abwandten, seiner reptilienhaften tödlichen Schlauheit –
Welcher Art ist der Extremismus Spartas? Was ist das spartanische Muster? In der Sprache unseres Zeitalters ist es Links, Rechts, Ost und West. Es ist ein Zusammentreffen aller Grade und Kompasspunkte. Es hallt nicht wider, weil es seltsam ist, sondern weil es seltsam vertraut ist und bleibt. Der gute Extremist denkt, er geht rückwärts, gegen die Gewohnheit der Welt. Er schätzt sich glücklich, weil andere unglücklich sind, und weil er anders ist als andere, muss es so sein. Doch seine Logik ist falsch, und im Übrigen ist er gar nicht anders als andere. Er ist all denen verwandt, die sich selbst über die Grenze hinausgetrieben haben, wo der Zeiger auf null zurückspringt. Alle Extremisten sind gleich, und in Sparta sind sie alle bereits vorgebildet.
Ich nenne das hier weiterhin meine Aufzeichnungen. Ich weiß nicht, was für eine Doktorarbeit ich jetzt aus ihnen zusammenbasteln könnte. Ich habe die Sache verpfuscht: Wozu weitermachen? Ich habe mein Ziel aus den Augen verloren. Ich habe keine These. Ich habe die grundlegendsten Fakten falsch interpretiert. Wie kann ich überhaupt weiterschreiben, wenn ich selbst nicht verstehe, was ich geschrieben habe.
Die Spartaner hatten kaum Zeit, sich mit Außenseitern abzugeben. Sie waren sparsam mit ihrem Respekt. Selbst wenn sie die Hände in Freundschaft ausstreckten, knauserten sie mit ihrem Vertrauen. Sie misstrauten sogar denjenigen ihrer eigenen Leute, die ihrer Stellung wegen ins Ausland mussten. Allzu oft lernten und vergaßen ihre Emissäre zu viel. Je weiter Spartas Macht reichte, desto öfter kamen seine heimgekehrten Könige und Admiräle mit der alten Strenge nicht mehr zurecht. Man bemerkte an ihnen degenerierte Gewohnheiten. Sie verlangten nach köstlichen Speisen und bevorzugten feine Kleider. Sie mieden die Gesellschaft von Menschen ihresgleichen und dünkten sich über sie erhaben. Es zeigte sich, dass sie sich im Besitz athenischen Silbers und persischen Goldes befanden. Indem sie pflichtgemäß in die unglückliche Welt hinausgingen, hatten sie sich vom Unglück anstecken lassen. Am Ende wurden sie wieder vertrieben oder getötet, eingemauert in die Heiligtümer, in denen sie Zuflucht suchten, und an der Schwelle zum Tod brachte man ihre Körper wieder ins Freie, um den Göttern den Anblick ihres Zerfalls zu ersparen.
Fürchteten die Spartaner die Außenwelt? Hüteten sie sich vor ihren Schakalen und Wölfen? Ihre unbefestigten Städte proklamierten Furchtlosigkeit. Die Spartaner glaubten an sich selbst bis zu dem Tag, an dem sie vernichtet wurden. Und dennoch sind ihre Glaubensvorstellungen – ihre Götter – voll aufblitzender Schrecken. Wenn es nicht die Außenwelt war, die sie fürchteten, was war es dann, wenn nicht sie selbst?
Ihr längster und grausamster Krieg blieb ihren Feinden im Inneren vorbehalten. Die Römer und die Athener schrieben
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