Verborgene Liebesglut
und doch, so hatte er der sorgenvollen Rede des Lords entnommen, waren seine Chancen zu überleben gering und alle Rettungsversuche vielleicht vergebens. Er kannte Wilcox gut genug, um zu wissen, daß er nicht dazu neigte, eine Situation zu überdramatisieren. „Natürlich wird er es schaffen", entgegnete der Major dennoch mit mehr Optimismus, als er eigentlich empfand. „Du solltest jetzt nach ihm schauen, Wilcox. Außer dem Doktor ist keiner bei ihm. Und wenn er in diesen schweren Stunden jemanden braucht, so bist du es."
„Ja, du hast bestimmt recht, Thomas", entgegnete der Lord. „Ich werde so lange bei ihm bleiben, bis ...", hier stockte er und blickte seinen Freund gepeinigt an, „bis das Schlimmste überstanden ist", fuhr er nach einem Augenblick fort.
Mit diesen Worten verabschiedete er sich und ließ den Major nachdenklich zurück.
Der Zustand Philippes war weiterhin unverändert. Der Arzt hatte einem Dienstmädchen, das ihm bei der Versorgung des jungen Mannes zur Hand ging, strikte Anweisungen gegeben, den Kranken nicht unbeaufsichtigt zu lassen und ihn sofort zu unterrichten, falls es dem Patienten schlechter gehen sollte.
Als der Lord das Schlafgemach leise betrat, fand er das Mädchen kniend vor dem kleinen Heiligenbild. Behutsam nahm Wilcox sie zur Seite, steckte ihr einen Dukaten zu und schickte sie zu Bett. Er war fest entschlossen, die Nacht am Lager des Kranken zu verbringen. Kaum war er alleine, hörte er ein wildes Stimmengewirr auf dem Hof des Schlosses. Schnell trat er ans Fenster und zog den schweren Vorhang beiseite. Wer verursachte mitten in der Nacht einen solchen Lärm?
Erst bei näherer Betrachtung wurde ihm klar, daß die FairfaxDamen abreisten. Koffer wurden aufgeladen, und mehrere Angestellte eilten im Schein der Laternen unruhig hin und her. Ein starker Regen hatte eingesetzt.
Schließlich erschienen die beiden Damen in großen, dunklen Reiseumhängen und verschwanden in der Kutsche. Scharf knallte ein Peitschenhieb durch die Nacht, als das Gefährt mit den unliebsamen Gästen über die Pflastersteine der Hofausfahrt entgegendonnerte. Doch erst als die Kutsche die lange Allee talabwärts fuhr, atmete Wilcox erleichtert auf.
Behutsam schloß er die Vorhänge, trat zurück ins Zimmer und nahm in dem schweren Lehnsessel Platz, den er neben das Krankenlager gerückt hatte. Hier würde er die Nacht verbringen, um in der Nähe zu sein, sollte Philippe seiner bedürfen.
Vorsichtig schraubte er den Docht der Öllampe herunter. Im Haus war inzwischen alles still geworden. Offensichtlich hatte der Major dafür gesorgt, daß die Dienstboten sich in ihre Unterkünfte zurückzogen, und für diesen kleinen Dienst war Wilcox ihm sehr dankbar. Nach den Aufregungen des Tages tat ihm die Ruhe wohl. Der Regen hatte inzwischen aufgehört, und nur hier und da störte eine knarrende Diele oder der Wind, der in den Bäumen rauschte, die nächtliche Stille.
Auch Wilcox wurde allmählich ruhiger und versuchte, Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Er war sich nicht sicher, was Lady Fairfax' Drohung zu bedeuten hatte. Philippe war Franzose, und soweit er wußte, hatte man ihm alle Papiere, die ihn ausweisen konnten, vor seiner überstürzten Flucht aus Frankreich abgenommen. Sollte also ruchbar werden, daß Wilcox einen Franzosen mit unbekannter Identität unter seinem Dach versteckt hielt, würde man ihn und alle Mitglieder seines Haushalts sicher einem scharfen Verhör unterziehen. Das wäre in der Tat sehr peinlich. Doch konnte diese Bestie unmöglich glauben, daß man ihm, Lord Kellinghurst, einem verdienten Soldaten und noch dazu engem Vertrauten des Prinzregenten, vorwerfen werde, einen Staatsfeind zu beherbergen. Er würde mit seinem Ruf als Kriegsheld und Ritter des Hosenbandordens für die Integrität Philippes bürgen, sollte dies notwendig sein. Niemand im Vereinigten Königreich würde sein Wort anzweifeln. Das stand außer Frage. Was also konnte die Lady mit ihren letzten Worten gemeint haben?
Ein Stöhnen Philippes riß ihn aus seinen Grübeleien. Vorsichtig beugte sich Wilcox vor und berührte behutsam Philippes Stirn. Er schreckte zurück. Sie war eiskalt. Besorgt umschloß er mit seiner kräftigen Hand die schlanken Finger seines Schutzbefohlenen. Doch auch aus den Händen des Leidenden war jegliche Wärme gewichen. Beunruhigt setzte sich Wilcox zu Philippe aufs Bett. Hier half kein Kaminfeuer und auch keine wärmende Decke mehr. Nur zu oft hatte er, während seiner Zeit als
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