Verborgene Lust
Kriegsgefangene. Was meinen Sie, wie die sich gefühlt haben, als sie zurückkehrten und herausfanden, dass ihre eigenen Frauen mit den Nazis geschlafen, vielleicht sogar Kinder mit ihnen gezeugt haben? Ist das nicht ein doppelter Betrug?«
»Ja, aber was, wenn ihre Kinder gehungert haben und die Frau dachte, ihr bliebe keine andere Wahl?«, fragt einer der Amerikaner. »Sie weiß, wenn sie mit einem Nazibonzen schläft, besorgt er ihr Essen für ihre Kinder.«
»Ich war hungrig – meine Kinder waren hungrig –, aber trotzdem habe ich nicht für ein Stück Brot mit dem Feind geschlafen«, erklärt Vivienne leidenschaftlich und leert ihren Drink mit einem Schluck. Ihre Augen funkeln.
»Okay. Beruhigen Sie sich, Lady. Denken Sie daran, Frankreich ist jetzt ein freies Land. Wie wäre es, wenn Sie mit mir tanzen?«
Vivienne verschwindet mit einem jungen Amerikaner auf die Tanzfläche und bewegt sich ekstatischer, als Maria es je bei ihr gesehen hat. Fassungslos über das Geständnis ihrer Freundin bleibt Maria zurück. Vivienne war oder ist noch verheiratet? Und sie hat Kinder? Das war durchaus möglich. Schließlich war sie mindestens dreißig, wenn nicht sogar älter. Nur dass sie jede Nacht mit ihrer Clique ausging und feierte. Sie hatte Maria erzählt, dass sie vor dem Krieg Sängerin gewesen sei, aber Maria hat sie nie singen hören. Und sie hat noch nie zuvor von ihren Kindern gesprochen.
Einer der Amerikaner fordert Maria zum Tanzen auf, aber sie schüttelt den Kopf. Sie ist müde. Sie will nach Hause gehen und schlafen, in der Hoffnung, dass ihr Geliebter am nächsten Morgen zurück ist. Jetzt, wo er fort ist, beginnt sie an ihrem Leben hier in Paris zu zweifeln. Arbeitet Felix tatsächlich an einem Film? Er hat nie zuvor mit ihr darüber gesprochen. Sie erinnert sich an den ersten Tag, den sie vor all den Wochen allein in Paris war. Felix hatte ihr nie erklärt, wohin er verschwunden war.
»Wo ist Felix?«
Maria dreht sich um und steht vor René, dem kleinen bebrillten Schriftsteller, den sie kennengelernt hat, als Felix und sie zum ersten Mal in Paris ausgegangen waren.
»Er ist zu Filmaufnahmen gefahren«, antwortet sie und nimmt ein Glas Wein entgegen, das er ihr reicht.
»Ich wusste gar nicht, dass er momentan an einem Film arbeitet.« René sieht sie neugierig an.
»Nun ja«, sagt sie und ist etwas verwirrt über seine Bemerkung. Sie trinkt einen Schluck Rotwein. Warum nahm Felix sie eigentlich nicht mit zu den Filmaufnahmen?
»Wahrscheinlich besucht er Mathilde«, meint der kleine Mann und beobachtet Maria, die vor Schreck bei seinen Worten erstarrt.
Sie muss ihn fragen, auch wenn sie tief in ihrem Herzen die Antwort bereits kennt. »Wer ist Mathilde?«
René zögert und wirkt beunruhigt. »Ach, du meine Güte. Ich dachte, du wüsstest das. Mathilde ist Felix’ Frau.«
Maria merkt, wie ihr das Blut aus dem Gesicht weicht. Sie klammert sich derart fest an ihr Weinglas, dass es fast zerspringt.
»Es tut mir leid«, sagt René. »Ich glaubte, du wärst in das Geheimnis eingeweiht.«
»Ich dachte, Felix’ Frau sei tot«, haucht Maria, ihre Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern. »Vivienne meinte, sie sei lange gegangen …«
»Bildlich gesprochen ist sie das auch, aber Vivienne kennt nicht die ganze Geschichte. Weißt du, wir können es ihr nicht erzählen wegen dem, was ihr passiert ist.« René seufzt und wirkt deutlich beunruhigt. »Es tut mir wirklich leid, dass ich all das aufgewühlt habe. Ich dachte, du wüsstest es.«
Maria sieht ihn an und fragt sich, ob er ihr die Wahrheit sagt. Er scheint besorgt zu sein. »Aber … aber, wenn du von Felix’ Frau wusstest, was dachtest du dann, wer ich bin? Eine Hure?« Ihre Stimme zittert, während Wut langsam beginnt, die Liebe in ihrem Herzen zu vergiften.
»Natürlich nicht! Mein Gott, nein. Ich dachte, du wüsstest über alles Bescheid. Wie unmöglich die Dinge für Mathilde und Felix sind. Ich dachte, du hättest deinen Part dabei übernommen.«
Maria fixiert den sich windenden René mit eisigem Blick. »Und welcher Part soll das sein?«
»Na, seine Geliebte natürlich«, stößt der kleine Mann hervor. »Die Frau, die Felix jetzt liebt – das ist ganz offensichtlich.«
Maria wendet niedergeschlagen den Blick ab. Tränen brennen in ihren Augen. Sie beißt sich auf die Lippen, um nicht zu weinen. Sie muss hier raus. Sie sucht in der Menge nach Vivienne, doch die ist verschwunden. Stattdessen entdeckt Maria eine Gestalt, die sie zu
Weitere Kostenlose Bücher