Verborgene Muster
raschen Rundgang durch die Wohnung. Als sie in der Tür zum Schlafzimmer stand, dachte sie
an die Leidenschaft in jener Nacht, an den Geruch, der immer noch in der Luft zu hängen
schien.
Die Zündflamme brannte noch. Das würde ihn überraschen. Wie viele Bücher er hatte, aber
schließlich war seine Frau ja Englischlehrerin gewesen. Sie hob einen Teil vom Boden auf und
stellte sie auf die leeren Regalböden in der Schrankwand. In der Küche machte sie sich Kaffee und
setzte sich hin, um ihn schwarz zu trinken und dabei die Post durchzusehen. Eine Rechnung, eine
Postwurfsendung und einen mit Schreibmaschine getippten Briefumschlag, der bereits vor drei Tagen
in Edinburgh aufgegeben worden war. Sie steckte die Briefe in ihre Handtasche und ging den
Kleiderschrank inspizieren. Samanthas Zimmer, bemerkte sie, war immer noch abgeschlossen. Noch
mehr Erinnerungen, die sorgfältig beiseite geschoben wurden. Armer John.
Jim Stevens hatte entschieden zuviel Arbeit. Der Würger von Edinburgh wurde zum alles
beherrschenden Thema. Man konnte den Schweinehund nicht ignorieren, selbst wenn man glaubte,
etwas Besseres zu tun zu haben. Stevens arbeitete mit drei Kollegen an der täglichen
Berichterstattung und den Sonderbeiträgen für die Zeitung. Kindesmissbrauch im heutigen
Großbritannien war immer eine heiße Sache. Allein die Zahlen waren erschreckend genug, aber noch
schrecklicher war das Gefühl, dass man nicht viel mehr tun konnte als abzuwarten, bis die Leiche
des Mädchens auftauchte. Bis das nächste Mädchen verschwand. Edinburgh war eine Geisterstadt. Die
meisten Kinder mussten zu Hause bleiben, und die, die raus durften, huschten durch die Straßen,
als würden sie gejagt. Stevens wollte sich ganz der Drogengeschichte widmen, den immer
umfangreicher werdenden Beweisen, der Verbindung zur Polizei. Aber er fand keine Zeit dazu. Tom
Jameson saß ihm ständig im Nacken, streunte den ganzen Tag im Büro herum. Wo bleibt der Artikel,
Jim? Wird langsam Zeit, dass du was für dein Geld tust, Jim. Wann ist die nächste
Pressekonferenz, Jim? Am Ende des Tages war Stevens immer völlig ausgebrannt. Er kam zu dem
Schluss, dass er die Arbeit im Fall Rebus vorläufig liegen lassen musste. Was sehr schade war.
Denn während die Polizei auf Hochtouren an den Morden arbeitete, war freie Bahn für alle
möglichen anderen Verbrechen, einschließlich des Drogenhandels. Die Edinburgher Mafia musste
einen Riesenspaß haben. Er hatte die Geschichte mit dem »Bordell« in Leith verwendet, in der
Hoffnung, im Gegenzug ein paar Informationen zu erhalten. Aber die großen Bosse hatten offenbar
keine Lust mitzuspielen. Zum Teufel mit ihnen. Sein großer Tag würde schon noch kommen.
Als sie den Krankensaal betrat, las Rebus in einer Bibel, die ihm das Krankenhaus zur Verfügung
gestellt hatte. Als die Oberschwester von seiner Bitte erfuhr, hatte sie ihn gefragt, ob er mit
einem Pfarrer oder Priester sprechen wollte, doch er hatte dieses Angebot energisch
abgelehnt.
Er war ganz zufrieden - mehr als zufrieden - damit, einige der besseren Passagen im Alten
Testament durchzublättern und seine Erinnerung an ihre Kraft und moralische Stärke aufzufrischen.
Er las die Geschichten von Moses, Samson und David, bevor er zum Buch Hiob kam. Hier stieß er auf
eine Kraft, der jemals begegnet zu sein er sich nicht erinnern konnte.
Wenn die Geißel plötzlich tötet, spottet er über der Schuldlosen Angst. Die Erde ist in
Frevlerhand gegeben, Das Gesicht ihrer Richter deckt er zu. Ist er es nicht, wer ist es
dann?
Sage ich: Ich will meine Klage vergessen,
meine Miene ändern und heiter blicken!,
so graut mir vor all meinen Schmerzen;
ich weiß, du sprichst mich nicht frei.
Ich muss nun einmal schuldig sein,
wozu müh ich mich sonst?
Wollte ich auch mit Schnee mich waschen,
meine Hände mit Lauge reinigen,
du würdest mich doch in die Grube tauchen,
sodass meinen Kleidern vor mir ekelt.
Rebus spürte, wie ihm die Kälte den Rücken hinunterlief, obwohl es im Krankensaal drückend heiß
war und seine Kehle nach Wasser schrie. Als er etwas von der lauwarmen Flüssigkeit in einen
Plastikbecher goss, sah er Gill Templer auf Zehenspitzen zu ihm herüberlaufen. Mit ihrem Lächeln
brachte sie ein wenig Freude in den Krankensaal. Ein paar von den Männern musterten sie
anerkennend. Rebus war plötzlich froh, dass er das Krankenhaus noch heute verlassen konnte. Er
legte die Bibel beiseite und begrüßte Gill mit einem Kuss in
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