Verborgene Sehnsucht
Kein Morddezernat. Auf Wiedersehen, Normalität. Hallo, fremde neue Welt.
Er starrte finster vor sich hin, während er die Finger zwischen den Knien verschränkte. Vielleicht wusste sie es schon. Vielleicht verstand sie irgendwie – durch weibliche Intuition vielleicht –, was ihre Gefangennahme durch die Razorback bedeutete … dass sie in der Welt der Menschen nicht länger sicher war.
Wunschdenken? Wahrscheinlich.
Er wünschte sich, dass sie es akzeptieren konnte. Ihn, ihr neues Leben, alles. Und im Moment war die Vorstellung, sie würde sich nicht gegen die Veränderung wehren, einfach zu verlockend. Der Tagtraum beruhigte ihn, besänftigte seine eisige Seite, und als seine Anspannung nachließ, verzog sich auch das Hämmern aus seinen Schläfen in den Hinterkopf.
Mit einem Seufzen ließ Rikar das Kinn sinken, dehnte die verspannten Muskeln entlang seiner Wirbelsäule. Als die Knoten sich lockerten, einer nach dem anderen, stöhnte er auf. Hmm, das fühlte sich gut an. Vielleicht sollte er sich mal richtig strecken. Obwohl – auf keinen Fall würde er Venoms Beispiel folgen und sich auf einer Yogamatte sehen lassen. Dieses Hatha-Zeug war doch Mist. Mit bandagierten Knöcheln auf einen Sandsack einzuschlagen entsprach eher seinem Style. Auch wenn ein bisschen Zen an diesem Morgen wohl nicht schaden könnte, also …
»Nein!«
Der scharfe Ruf – halb Schreien, halb Keuchen – ließ Rikar aufschrecken. Sein Blick blieb an Angelas Gesicht hängen, und einen Augenblick lang bekam er keine Luft mehr. Sie zuckte, die Augenbrauen tief nach unten gezogen, die Fäuste geballt, und ihre Beine bewegten sich heftig unter der Decke, während sie im Schlaf aufschrie. Ein Albtraum. Nach dem, was sie durchgemacht hatte, hatte er damit gerechnet, aber es wirklich zu erleben, war viel schlimmer. Zu sehen, wie sie gegen einen nicht vorhandenen Gegner ankämpfte, riss ihm das Herz aus der Brust, und als er den Stuhl zurückschob und aufstand, war er sich nicht sicher, was er tun sollte. Sie aufwecken? Sie festhalten?
Er schüttelte den Kopf. Festhalten war keine gute Idee. Genau das hatte Lothair getan, und … dieser Bastard. Rikar weigerte sich, seinem Beispiel zu folgen.
»Angela … sssch, Süße«, sagte er in der Hoffnung, sie zu beruhigen. Himmel, er sehnte sich so sehr danach, sie zu berühren, doch sein Instinkt riet ihm, es nicht zu tun. Zumindest vorerst. »Es ist alles in Ordnung. Du bist in Sicherheit … hier kann dir nichts geschehen.«
»Meine Waffe«, keuchte sie und hinter den geschlossenen Lidern zuckten ihre Augen wild hin und her, während sie gegen die Traumbestien ankämpfte. »Wo ist meine … ich brauche sie … er wird …«
»Nein, mein Engel. Ich bin bei dir.« Rikar bemühte sich, seine Stimme ruhig zu halten, aber es fiel ihm schwer. Er wollte sich gehen lassen, seinem Schmerz Ausdruck verleihen, seine Faust durch die nächste Wand rammen. Aber Angela brauchte nicht seine Wut. Nicht jetzt. Was sie brauchte, war Trost und Wärme, und beides konnte er ihr geben … solange er einen kühlen Kopf bewahrte, verdammt noch mal. »Er kann dich nicht kriegen. Ich lasse es nicht zu. Du bist in Sicherheit.«
Ihr Atem ging zitternd, in ihm lag der raue Klang der Angst und …
Scheiß drauf. Er streckte den Arm aus, ihr abgehacktes Schluchzen riss ihn in Stücke. Ganz sanft und langsam legte er ihr eine Hand auf die Wange. Eine Sekunde lang lag sie stocksteif da, dann wandte sie den Kopf und presste ihr Gesicht in seine Handfläche. Ihm stockte der Atem, als sie sich an ihn schmiegte, mehr von ihm spüren wollte. Er gab ihr, was sie wollte, legte ihr eine Hand in den Nacken, während er mit den Fingerspitzen der anderen sanft über ihre Schläfe strich. »So ist es gut, mein Engel. Es ist alles in Ordnung.«
Sie zog die Augenbrauen zusammen.
»Ich will meine Glock.«
Ihre Worte waren undeutlich, und Rikar lächelte. Himmel, er konnte nicht anders. Erleichterung durchflutete ihn. Respekt vor ihr erfüllte sein Herz. Jede andere hätte gesagt Ich will meine Mammi . Aber, oh nein. Sogar vollgepumpt mit Schmerzmitteln und von Albträumen geplagt war sie stark. Bereit, sich zu verteidigen, komme was wolle. In diesem Moment traf er eine Entscheidung. Seine Magie brandete auf und er beschwor eine Glock 19 herauf, Polizeiwaffenstandard.
Ohne ihren Kopf loszulassen, legte er ihr die Waffe in die Hand. »Hier, Süße.«
Sie zuckte zusammen, als das kalte Metall ihre Handfläche berührte, dann brummte sie
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