Verbotene Früchte im Frühling
Daisy starrte in ihre eigenen Augen, sah kleine goldene Lichter darin, Funken, die vom Feuer aufflogen. Wenn sie nur lange genug und intensiv genug hineinsah, konnte sie sich beinahe einreden, dass das Glas wirklich das Tor zu einer mystischen Welt war. Vielleicht war es ihre eigene Fantasie, doch sie spürte wirklich, wie die Wahrsagerin sich konzentrierte.
Dann nahm die Frau ihr den Spiegel so abrupt weg, dass Daisy zusammenzuckte. „Nicht gut“, sagte sie. „Ich sehe nichts. Ich gebe Ihnen den Schilling zurück.“
„Nicht nötig“, erwiderte Daisy. „Es ist nicht Ihr Fehler, wenn mein Geist im Dunkel bleibt.“
Matthews Stimme klang äußerst sachlich. „Wir sind schon zufrieden, wenn Sie sich irgendetwas ausdenken“, sagte er zu der Frau.
„Sie kann sich nichts ausdenken“, widersprach Daisy. „Dann würde sie ihre Gabe missbrauchen.“
Als sie das Gesicht der Wahrsagerin betrachtete, fand Daisy, dass die Frau tatsächlich unzufrieden wirkte. Sie musste etwas gesehen haben, das sie beschäftigte. Was vermutlich ein guter Grund war, es dabei zu belassen. Aber wenn sie nicht herausfand, was es war, dann würde sie vor Neugier verrückt werden, so gut kannte Daisy sich.
„Wir wollen den Schilling nicht zurück“, sagte sie. „Aber bitte, Sie müssen etwas sagen. Wenn es schlechte Neuigkeiten sind, dann ist es besser, darüber Bescheid zu wissen, oder?“
„Nicht immer“, sagte die Frau düster.
Daisy trat näher, bis sie einen süßen Geruch wahrnahm, eine Kräuteressenz – Lorbeerblätter? Basilikum? „Ich will es wissen“, wiederholte sie.
Die Wahrsagerin sah sie lange und prüfend an. Endlich sagte sie äußerst widerstrebend: „Süß war die Nacht, als das Herz verschenkt wurde, doch bitter ist der Tag. Ein Versprechen im April – ein gebrochenes Herz im Mai.“
Ein gebrochenes Herz? Das gefiel Daisy überhaupt nicht.
Sie fühlte, wie Matthew hinter sie trat und eine Hand auf ihre Taille legte. Obwohl sie sein Gesicht nicht sehen konnte, wusste sie, dass er eine spöttische Miene zeigte. „Können wir mit zwei Schillings etwas Optimistischeres hören?“, fragte er.
Die Wahrsagerin beachtete ihn gar nicht. Sie schob den Spiegel zurück in ihren Rock und sagte zu Daisy: „Binden Sie Gewürznelken in ein Tuch. Er soll es zum Schutz tragen.“
„Gegen was?“, fragte Daisy.
Die Frau entfernte sich bereits von ihnen. Ihre weiten Röcke wallten wie Seegras, als sie auf die Menge am Ende der Straße zueilte, auf der Suche nach weiteren Geschäften.
Daisy drehte sich zu Matthew um und blickte in sein unbewegtes Gesicht. „Wovor könntest du Schutz gebrauchen?“
„Vor dem Wetter.“ Er streckte die Hände aus, die Innenseiten nach oben gerichtet, und Daisy bemerkte, dass ein paar dicke, kühle Regentropfen auf ihren Kopf und ihre Schultern fielen.
„Du hattest recht“, sagte sie und dachte noch über die merkwürdige Wahrsagerin nach. „Ich hätte stattdessen geräucherten Fisch nehmen sollen.“
„Daisy …“ Mit der freien Hand umfasste er ihren Nacken. „Du glaubst doch diesen Unsinn nicht, oder? Die alte Krähe hat ein paar Sätze auswendig gelernt, die sie gegen einen Schilling aufsagt. Der einzige Grund, warum sie uns etwas Schlechtes vorhersagte, war, weil ich nicht so tat, als glaubte ich an den Unsinn.“
„Ja, aber … es schien ihr ehrlich leidzutun.“
„Nichts an ihr war ehrlich und auch nicht an dem, was sie sagte.“ Matthew zog Daisy näher an sich, ohne sich darum zu kümmern, wer sie dabei beobachten konnte. Als Daisy zu ihm aufsah, fiel ihr ein Regentropfen auf die Wange und ein anderer auf ihren Mundwinkel. „Es war nicht wirklich“, sagte Matthew leise, und seine Augen schimmerten dunkel wie die Nacht. Er küsste sie voller Verlangen, mitten auf dem öffentlichen Platz, und sie schmeckte den Regen dabei. „Dies hier ist wirklich“, flüsterte er.
Gierig drängte sich Daisy an ihn und stellte sich auf die Zehen, um ihn besser erreichen, sich seinem Körper anpassen zu können. Seine Päckchen drohten herunterzufallen, und Matthew bemühte sich, sie festzuhalten, ohne sich von Daisys Lippen zu lösen. Lachend trat sie zurück. Über ihren Köpfen donnerte es, und der Boden unter ihren Füßen bebte.
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie die Menschen sich unter die Verkaufsstände drängten, um Schutz zu suchen.
„Laufen wir zur Kutsche“, sagte sie zu Matthew, raffte die Röcke und rannte los.
17. KAPITEL
Bis die Kutsche das Ende des
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