Verbotene Früchte im Frühling
wenige Momente gegeben, in denen Daisys wirkliches Leben unendlich viel interessanter gewesen war als das in ihrer Fantasie. Dies war einer davon.
„Kinder.“ Westcliffs spöttische Stimme veranlasste sie beide, ihn anzusehen. Er hatte sich von seinem Stuhl erhoben und streckte die verspannten Muskeln. „Ich fürchte, das hat mir zu lange gedauert. Ihr dürft gern noch weiterspielen, aber ich bitte, jetzt gehen zu dürfen.“
„Aber wer ist dann unser Schiedsrichter?“, protestierte Daisy.
„Da seit einer halben Stunde keiner mehr den Spielstand zählt, ist mein Urteil nicht länger nötig“, erklärte der Earl sachlich.
„Aber wir haben gezählt“, widersprach Daisy und wandte sich an Swift. „Wie steht es?“
„Ich weiß es nicht.“
Sie sahen einander an, und Daisy verspürte einen Anflug von Verlegenheit.
In Swifts Augen lag ein belustigter Glanz. „Ich denke, Sie haben gewonnen“, sagte er.
„Oh, behandeln Sie mich nicht so von oben herab“, sagte Daisy. „Sie führen. Ich kann verlieren. Es gehört zum Spiel.“
„Ich behandle Sie überhaupt nicht von oben herab. Es besteht mindestens Gleichstand seit …“ Swift nestelte an seiner Westentasche und zog eine Uhr hervor. „… zwei Stunden.“
„Was bedeutet, dass Sie vermutlich Ihre anfängliche Führung beibehalten haben.“
„Aber nach der dritten Runde …“
„Ach, verdammt!“, ließ sich Lillian von der Seite her vernehmen. Sie klang entschieden verärgert. Sie hatte im Haus ein Nickerchen gehalten und war dann wieder herausgekommen, um festzustellen, dass alle noch immer auf dem Rasen standen. „Den ganzen Nachmittag lang habt ihr wie ein Paar wilde Frettchen gestritten, und jetzt streitet ihr noch darüber, wer gewonnen hat. Wenn dem nicht jemand ein Ende setzt, dann steht ihr hier noch um Mitternacht. Daisy, du bist ganz voller Staub, und dein Haar sieht aus, als nisten Vögel darin. Komm mit ins Haus, und mach dich zurecht. Jetzt.“
„Du musst nicht so mit mir schreien“, erwiderte Daisy sanft und folgte ihrer Schwester. Über die Schulter hinweg warf sie einen Blick zurück auf Matthew Swift – so freundlich, wie sie ihn bisher nie angesehen hatte. Dann wandte sie sich wieder um und beschleunigte ihren Schritt.
Swift begann, die Holzkugeln einzusammeln.
„Lassen Sie das“, sagte Westcliff. „Die Dienstboten werden aufräumen. Sie sollten die Zeit dazu nutzen, sich zum Essen umzuziehen. Es beginnt in etwa einer Stunde.“
Gehorsam ließ Matthew die Kugeln fallen und ging mit Westcliff zusammen zum Haus. Er sah Daisys kleiner Gestalt nach, bis sie außer Sichtweite war.
Der faszinierte Blick entging Westcliff nicht. „Sie haben eine ungewöhnliche Art, einer Frau den Hof zu machen“, bemerkte er. „Nie hätte ich gedacht, dass es Daisys Interesse wecken würde, Sie beim Boule zu schlagen, aber allem Anschein nach hat es funktioniert.“
Matthew betrachtete den Rasen zu seinen Füßen und zwang sich, seiner Stimme einen unbesorgten Klang zu verleihen. „Ich mache Miss Bowman nicht den Hof.“
„Dann habe ich wohl Ihre Leidenschaft für Boule falsch interpretiert.“
Matthew warf ihm einen abwehrenden Blick zu. „Ich gebe zu, ich finde sie amüsant. Aber das bedeutet nicht, dass ich sie heiraten will.“
„Die Bowman-Schwestern sind in der Beziehung gefährlich. Wenn eine von ihnen zuerst Ihr Interesse weckt, dann halten Sie sie für das herausforderndste Geschöpf, dem Sie je begegnet sind. Aber dann stellen Sie fest, dass Sie, obwohl sie einen beinahe in den Wahnsinn treibt, es kaum abwarten können, sie wiederzusehen. Wie eine unheilbare Krankheit befällt das nach und nach alle Ihre Organe. Die Sehnsucht beginnt. Alle anderen Frauen scheinen neben ihr langweilig und farblos zu sein. Sie begehren sie so sehr, bis Sie beinah den Verstand verlieren.
Sie können nicht aufhören, an sie zu denken, und …“
„Ich weiß nicht, wovon Sie reden“, unterbrach ihn Matthew, der erblasst war. Er wollte keine unheilbare Krankheit bekommen. Ein Mann konnte in seinem Leben Entscheidungen treffen. Und was immer Westcliff auch denken mochte, dies war nicht mehr als ein körperliches Begehren. Ein mächtiges, überwältigendes, unangenehmes Begehren – aber mit reiner Willenskraft konnte es bezwungen werden.
„Wenn Sie das sagen“, meinte Westcliff. Es klang nicht überzeugt.
6. KAPITEL
Matthew sah in den Spiegel auf der Kommode aus Kirschholz und knotete mit geschickten Bewegungen seine
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