Verbotene Früchte - Spindler, E: Verbotene Früchte
sich danach, bei ihnen zu sein und ihr Leben zu teilen. So sehr, dass sie den ganzen Tag gewartet hatte, um nur einen Blick auf die beiden zu werfen. Sie hatte in ihrem Wagen vor dem St. Charles gesessen, den Blick auf den großen Eingang gerichtet. Abwechselnd war ihr warm und kalt geworden.
Es war nicht das erste Mal gewesen, und es würde nicht das letzte Mal sein.
Heute war ihr Warten belohnt worden. Hope und Glory waren im Sonnenschein aus dem Hotel gekommen, und sie hatte die Freude gehabt, sie anzusehen. Lily schluckte trocken. Die Sehnsucht nach den beiden fraß Tag und Nacht an ihr, bis sie nur noch Hoffnungslosigkeit empfand.
Sie entspannte die Finger. Alles, was sie sich für ihre Tochter gewünscht hatte, dass sie ein gutes, anständiges Leben führte, unbelastet von den Sünden der Mutter, war in Erfüllung gegangen. Sie verstand sogar, warum Hope keinen Kontakt zu ihr haben wollte, warum sie sich aufgeregt hatte, als sie darum bat, sie sehen zu dürfen. Und sie verstand, warum Glory nicht erfahren sollte, wer und was ihre weiblichen Vorfahren waren.
Lily schämte sich und bereute ihren Lebenswandel zutiefst.
Doch all ihr Verständnis linderte nicht die Sehnsucht nach Tochter und Enkelin. Bis zu ihrem Todestag würde sie trauern, weil sie die beiden verloren hatte. Und so einsam, wie sie die letzten Jahre gelebt hatte, würde sie auch sterben.
Lily hielt den Wagen am Ende der Zufahrt an. „Wir sind da“, sagte sie unnötigerweise. „Ich komme auf deine Seite, um dir zu helfen.“
„Ich schaffe es allein.“
„Fein.“ Sie kam trotzdem um den Wagen. Der Junge sah sie an, schwieg jedoch.
Halsstarrig, dachte sie, als sie ihn bei jedem Schritt vor Schmerz das Gesicht verziehen sah. Stolz und halsstarrig. Trotzdem nötigte ihr seine Willenskraft Respekt ab. Zweifellos war es schwer, allein zu gehen und keine Hilfe anzunehmen, obwohl er verletzt und sicher auch verängstigt war.
Sie kannte Jungen seines Typs und hatte ihnen geholfen. Kinder, die sich auf niemand verlassen konnten außer auf sich selbst. Kinder, die misshandelt und immer wieder im Stich gelassen worden waren. Dieser Junge hatte lange Zeit niemand mehr auf seiner Seite gehabt. Sie verübelte ihm seine Abwehrhaltung nicht. Er hatte sie wahrscheinlich durch Lebenserfahrung erworben.
Sie betraten das Haus durch den Seiteneingang, den Dienstboteneingang, der in die Küche führte. Lily schaltete die Deckenleuchte ein und sah, dass der Junge blutete. Das Hosenbein seiner Jeans hatte einen hässlich dunklen, feuchten Fleck.
„Setz dich hierhin“, forderte sie ihn leise auf und führte ihn zu einem der Stühle, die um den großen Eichentisch standen. „Ich hole Verbandszeug.“
Er ergriff ihre Hand. „Sie haben versprochen, niemand zu benachrichtigen.“
Sie sah ihm in die Augen. „Ich weiß, was ich versprochen habe.“
Kurz darauf kehrte sie mit Antiseptikum, Verbandszeug und einem Badetuch zurück. Sie füllte eine Schüssel mit warmem Seifenwasser und holte einen Waschlappen. „Du musst die Hose ausziehen, sonst komme ich nicht an die Wunde.“
Er errötete. „Lady, ich ziehe die Hose nicht aus.“
Seine Verlegenheit, die nicht recht zu seinem Image des harten Burschen passen wollte, ließ sie schmunzeln. „Ich habe den männlichen Teil der Gattung Mensch ziemlich oft ohne Hosen gesehen. Von einer alten Frau wie mir hast du nichts zu befürchten.“ Sie reichte ihm das Badetuch. „Hier, wenn du dich damit besser fühlst.“
Er riss es ihr aus der Hand, und sie drehte ihm schmunzelnd den Rücken zu, damit er ungestört war.
„Okay.“
Sie wandte sich ihm wieder zu. Er war zum Stuhl zurückgekehrt, dass Badetuch fest um die Taille gewickelt. Als sie die Jeans aufhob, sah er sie finster an. „Die werfe ich nur schnell in die Waschmaschine. Geh nicht weg.“ Bei ihrer Rückkehr in die Küche sah er sie immer noch finster an. „Du brauchst mich nicht so giftig anzustarren. Ich habe versprochen, dass du die Hose zurückbekommst.“ Lily kniete vor ihm und untersuchte die Wunde. Erleichtert stellte sie fest, dass sie zwar lang, aber nicht tief war. Sie tauchte den Waschlappen in das Seifenwasser. „Das könnte jetzt brennen. Tut mir Leid.“
„Jede Wette.“ Er saß steif da und biss die Zähne zusammen, während sie mit dem Lappen über den Riss fuhr.
„Ein Freund von mir ist ein pensionierter Arzt …“
„Nein.“
„Er wohnt in der Nähe“, fuhr sie ungerührt fort. „Wenn ich dich als meinen Neffen
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