Verbotene Lust
schauen, wenn sie den Hals langmachte und nach rechts schaute. Da das Haus auf einer Anhöhe stand, konntesie tatsächlich weit schauen – allerdings reichte der Blick bei dem regengrauen, stürmischen Wetter, das sie hier begrüßt hatte, nicht weit. Die großen Frachter, die sich in einiger Entfernung zur Küste durch die hohe Dünung kämpften, konnte sie nicht sehen – aber sie wusste, dass sie da waren. Bei gutem Wetter sah man sie bestimmt vorbeischleichen.
Der Wohnraum war groß und hell. Lediglich ein Bücherregal gab es, und darin befanden sich nur auf zwei Borden Bücher. Zwei hell bezogene Sofas standen einander gegenüber, dazwischen ein Glastisch auf einem dichten Teppich. Sonja zog die Strümpfe aus und vergrub die Zehen im dicken Flor. Wie es wohl wäre, sich auf dem Teppich zu lieben?
Der Holzfußboden war abgewetzt, grau und rau unter ihren Füßen. Zwischen den Dielen klafften Fugen, und sie verharrte einige Sekunden einfach und versuchte, einem Luftzug nachzuspüren. In diesem Haus fänden Kerzen keine Ruhe. Das reizte sie erst recht, zum Abendessen Kerzen anzuzünden. Über den großen Esszimmertisch hinweg würde sie mit André Blicke wechseln, bis einer von ihnen es nicht mehr ertrug. Bis die Spannung sich entlud …
Sie holte sich noch einen Becher Kaffee, ging in das kleine Zimmer, das neben der Küche an den großen Wohnraum angrenzte – ein karger Raum, nur ein roter Rothko links vom Schreibtisch. Geradeaus aber blickte sie direkt aufs Meer. Sie trank den Anblick. Minutenlang stand sie einfach da, und ihre Gedanken rasten.
Ich will es diesmal besser machen. Wir dürfen diese letzte Chance nicht aufs Spiel setzen. Ich schreib dieses verdammte Buch, und nachts lieben wir uns. Und wir kochen gemeinsam, und abends sitzen wir beisammen, kuscheln uns unter einer Decke dicht zusammen, trinken Chardonnay und fangen endlich mal an zu reden!
Vielleicht konnte Sex nicht alles lösen.
Sie atmete tief durch. Einen Schritt nach dem nächsten. Sie war hier, um ihr Buch zu schreiben. Einen Schritt nach dem nächsten …
Sie setzte sich in dem kleinen Arbeitszimmer an den Schreibtisch, stöpselte den Netzstecker in die Steckdose und fuhr ihr Notebook hoch. Öffnete das Schreibprogramm, lud die Datei und scrollte durch die Seiten.
Sie trank einen Schluck Kaffee, legte die Finger auf die Tastatur.
Und wartete.
Zehn Minuten. Oder waren schon fünfzehn vergangen? Manchmal nahm sie die Rechte von den Tasten und griff nach dem Kaffee. Ihr Blick ging ins Leere. Das Auf und Ab des Meers drang zu ihr, wie Stimmen, die sie lockten …
Sie wurde unruhig. Stand auf und ging mit der Kaffeetasse ans Fenster. Es war … nicht richtig.
Sie riss die Fenstertür auf, trat auf die Veranda und ließ den Wind ihr Haar zerzausen.
Was stimmte nur nicht? Warum hatte sie das Gefühl, sie säße in einem Glaskäfig und würde beobachtet werden? Warum konnte sie nicht einfach schreiben? Sie hatte diesen Roman in all seinen Einzelteilen schon hundertmal durchdacht, es konnte doch nicht so schwer sein, ihn durch ihre Finger in die Tastatur fließen zu lassen?
»Verrückt«, flüsterte sie. Und weil der Wind ihreStimme von ihren Lippen wegriss, schrie sie es heraus, sie breitete die Arme aus und verschüttete kalten Kaffee auf die Verandadielen. »Verrückt!«
Warum hatte sie das Gefühl, jemand beobachtete sie?
Nach drei Stunden gab sie es auf. Morgen, dachte sie verbittert, las noch einmal, was sie geschrieben hatte – viel war es nicht –, und speicherte es auf einem USB-Stick, ehe sie den Computer ausschaltete.
Sie wusch gerade den Feldsalat, als André nach unten kam. Die Dunkelheit war längst hereingebrochen, und draußen war nichts mehr zu erkennen. Nur wenn sie ganz still war, hörte sie das Meer rauschen und den Wind pfeifen, der an den Dachschindeln rüttelte.
»Da haben wir uns einen schönen Zeitpunkt ausgesucht, um in diesem abgelegenen Haus zu wohnen.« André stand vor dem Kühlschrank. »Möchtest du auch ein Glas Chardonnay?«
»Hm? Ja.«
Sie briet Pangasiusfilets, bereitete zugleich im Ofen Kartoffeln und Gemüse zu und rührte eine Salatsauce, während André ihnen Wein einschenkte.
»Weißt du … So einsam finde ich es hier gar nicht. Ich hab den halben Nachmittag damit zugebracht, im Arbeitszimmer am Fenster zu stehen und mir zu überlegen, ob mich da jetzt jemand beobachtet oder nicht.«
Sie lachte nervös.
»Das ging mir auch so.« André reichte ihr ein Glas, und sie stießen
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