Verbotene Sehnsucht
zur Heirat gab.
» Erinnere mich bitte nicht daran«, stieß Armstrong hervor.
James fand, dass es für heute reichte mit solchen Diskussionen. Morgen war auch noch ein Tag, und vielleicht kühlten sich Armstrongs Wut und seine überhitzten Reaktionen bis dahin etwas ab, sodass man mit mehr Ruhe über die Angelegenheit sprechen konnte. Was er heute brauchte, war ein Arzt, der ihn einigermaßen zusammenflickte und ihm schmerzstillende Mittel verabreichte.
» Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.« James warf Thomas einen bedeutungsvollen Blick zu, bevor er aus der Bibliothek humpelte.
Lord Rutherford wünscht Sie zu sehen, Miss. Er wartet im Salon auf Sie.
Wieder und wieder rief Missy sich die Ankündigung des Lakaien ins Gedächtnis, während sie am nächsten Morgen die Treppe hinunterstieg. Ihr Herz pochte wie wild, als sie die Halle durchquerte und sich Schritt für Schritt der Quelle ihres inneren Aufruhrs näherte. James war schrecklich früh gekommen, schon wenige Minuten vor neun, und das beunruhigte sie, zeigte es doch, dass es sich um einen besonderen Anlass handeln musste. Was wollte er? Was konnte er wollen? Und wo steckte ihr Bruder?
Vor dem Salon hielt sie kurz inne, atmete tief durch und strich eine vorwitzige Locke zurück, glättete noch einmal den weichen Baumwollstoff ihres dunkelroten Rockes und öffnete die Tür. Sie fühlte sich so ausgeliefert wie ein Hühnchen, das man für den Suppentopf vorgesehen hatte.
Zu ihrer Überraschung sah sie ihre Mutter ganz gelöst auf dem Sofa sitzen und sich mit James unterhalten, der neben ihr im Armsessel saß. Keine erhobenen, unfreundlichen Stimmen registrierte sie und wertete das als gutes Zeichen. Allerdings lag ein ungewohnter Ernst in der Miene ihrer Mutter, wie sie ihn noch nie bei ihr gesehen hatte. Die Unterhaltung brach abrupt ab, als sie eintrat.
James stand sofort auf. Als er sich zu ihr wandte, wäre sie beinahe voller Entsetzen zurückgestolpert.
» Du lieber Himmel, dein Gesicht.«
» Du kannst sicher sein, dass ich mit Thomas darüber sprechen werde«, kündigte ihre Mutter an, deren Missfallen sich durch eine steile Falte auf der Stirn zeigte.
» Aber selbst Sie müssen anerkennen, dass einem Mann das Recht zusteht, die Ehre seiner Schwester zu verteidigen«, sagte James und lächelte ironisch mit der einigermaßen heil gebliebenen Seite seines Mundes. Obwohl die Antwort ihrer Mutter galt, schaute er nur Missy an.
» Ich gestatte Ihnen ein paar Minuten alleine mit Millicent«, meinte die Viscountess und ging zur Tür, wo sie sich noch einmal umdrehte. » Bevor Sie gehen, James, werden wir unser Gespräch beenden.« Es klang nicht wie eine Bitte, sondern wie ein Befehl. Einen Hauch Vanilleduft hinter sich herziehend, schwebte sie hoheitsvoll aus dem Salon.
Missy konnte nicht anders, als unverwandt auf sein verunstaltetes Gesicht zu starren. Die linke Wange sah aufgequollen und unförmig aus und schillerte in allen Farben des Regenbogens. Das Auge war kaum zu sehen und schien schief zu stehen. Allein der Anblick schmerzte sie.
» Wir müssen reden«, kam er gleich zur Sache, noch bevor sie Platz nahmen, und schaute sie eindringlich an. Ruhig erwiderte sie seinen Blick.
» Ich hatte gehofft«, begann sie, » dass Thomas’ Zorn einigermaßen verraucht sein würde, bis er bei dir eintrifft. Scheint nicht so gewesen zu sein.« Missy wunderte sich, wie beherrscht sich ihre Stimme anhörte. Und auch darüber, welchen Gefühlssturm er trotz seines schrecklichen Anblicks und trotz der schwierigen Situation schon wieder bei ihr auslöste. Hatte sie nicht erst vor Kurzem, nach ihrer letzten Begegnung, gedacht, das alles sei vorbei, ein für alle Mal?
James zuckte die Schultern und deutete auf das Sofa und den Sessel. » Ich hoffe, du hast nichts dagegen, dass wir uns setzen. Mein Rücken ist immer noch ziemlich lädiert.«
Missy nahm den Platz ihrer Mutter ein, während James sich mit leisem Stöhnen im Armsessel niederließ.
» Lady Victoria hat das Verlöbnis beendet.«
Ungläubig und ein wenig erschrocken schaute sie ihn an, bis ein imaginärer Engelschor in ihrem Kopf ein Halleluja anstimmte, doch noch wagte sie nichts zu sagen, unterdrückte jede offene Reaktion. Trotz seines fragenden, eindringlichen Blickes.
Was erwartete er? Dass sie sich ihm dankbar zu Füßen warf? Nein, dazu war sie zu stolz. Zu oft hatte er sie in letzter Zeit abgewiesen, und sie wollte sich von ihm keine Abfuhr mehr holen. Nie wieder.
» Rechnest du
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