Verbotene Sehnsucht
erste Gang des opulenten Mahles serviert und der Wein ausgeschenkt wurde.
Während Missy sich vergeblich mühte, das Essen zu genießen, das ihr nach Sägespänen zu schmecken schien, versuchte sie aus den Augenwinkeln immer wieder einen Blick auf James zu erhaschen: auf sein Gesicht, manchmal auch nur auf eine Strähne seines dunklen Haares oder auf die Umschläge am Ärmel seines Dinnerjacketts. In Gedanken sah sie ihn entblößt bis zur Hüfte. Wunderschön in seiner Männlichkeit. Und unwiderstehlich.
» Nehmen Sie auch an Sutherhams Ball teil?«
Lord Rileys Frage riss sie aus ihrer Träumerei. Sie schaute ihn an und lächelte. » Ja, ich glaube, meine Mutter hat die Einladung an meiner Stelle angenommen.«
Während sie sich zu Lord Riley drehte, um sich mit ihm zu unterhalten, rückte James direkt in ihr Blickfeld. Ihr Herz drohte zu zerspringen, als sie bemerkte, dass er sie aus seinen blauen Augen unter sündhaft dichten Wimpern beobachtete. Doch er wandte sich sofort ab, und ihr Stolz gebot ihr, es ihm gleichzutun.
» Ich hoffe, dass Sie mir einen Tanz reservieren werden.« Lord Riley lächelte wieder, und in seinen braunen Augen funkelte unverkennbares Interesse auf.
» Das mache ich doch immer.« Sie lächelte, ließ die Zähne aufblitzen und warf ihm einen schnellen Blick zu, bevor sie sich wieder um ihren gefüllten Teller kümmerte.
Nach beendeter Mahlzeit zogen sich die Gäste in bester Stimmung in den großen Salon zurück, wo die großen Flügeltüren zur Terrasse weit geöffnet waren und den Blick freigaben auf den Garten, in dessen Beeten gerade weiße Stiefmütterchen und rote Peonien blühten.
Missy wusste später nicht mehr zu sagen, wie es geschehen konnte, dass sie sich irgendwann dort allein mit Lord Crawley hinter einer dichten Hecke wiederfand. Nach dem Ende des opulenten Dinners hatte sie das dringende Bedürfnis nach frischer Luft verspürt, und Crawley war, ganz Kavalier, an ihrer Seite geblieben, um sie zu begleiten. Wie sie dann hinter die Hecke gelangten, das bekam sie nicht mit, weil sie nur eines im Kopf hatte: James. Über ihn wollte sie nachdenken, nicht über Lord Crawley.
Während des Essens machte er auf sie den Eindruck, als sei er vollkommen in das Gespräch mit der Baroness vertieft, die sich andauernd aufdringlich zu ihm hinüberlehnte, wenn sie sprach (was praktisch die ganze Zeit über der Fall war). Dabei befand sich ihr Mund manchmal so gefährlich nahe an seinem Ohr, dass sie ihn beinahe berührte.
Gemessen an der Aufmerksamkeit, die er Missy schenkte, hätte man glauben können, sie sei nichts anderes als ein veraltetes Kutschenmodell, das man abschob, sobald es das neue zu kaufen gab. Ihre Sinne verzehrten sich nach ihm, warteten vergeblich auf Erlösung. Außer der höflich-kühlen Begrüßung hatte er sie kaum eines Blickes gewürdigt, und wenn doch, ließ sich an seiner teilnahmslosen Miene nicht ablesen, was in seinem Kopf vorgehen mochte. Vielleicht war ihre Idee doch nicht so gut, wie sie ursprünglich dachte. Hatten Thomas und Claire am Ende recht, dass sie einem ernsthaften Verehrer, der ihr den Hof machte, wenigstens eine Chance einräumen sollte? Falls es mit James scheiterte, würde sie sich ohnehin mit einem anderen begnügen müssen.
Es fiel Missy schwer, sich auf Lord Crawley zu konzentrieren, der sie mit unverhohlener Bewunderung anblickte. Er trug eine malvenfarbene Jacke, eine grünseidene, bestickte Weste und ein aufwändig gerafftes Hemd, und es war nicht zu übersehen, dass es sich bei ihm um einen ausgesprochen modebewussten Gentleman handelte. Und der ganz genau wusste, was zu ihm passte und was nicht– der nur Sachen trug, die sein gutes aristokratisches Aussehen unterstrichen und zudem zu seiner etwas stämmigen Erscheinung passten, ja diese sogar als Vorzug herausstellten.
Aber was erzählte er ihr eigentlich gerade? Missy musste krampfhaft überlegen, bis es ihr vage einfiel. Dass er ein ausgezeichnetes Gehör für Sprachen habe und sich für Geschichte interessiere. Sie lächelte breiter als sonst, sagte: » Ich hege auch eine Schwäche für solche Dinge«, und begann, James aus ihren Gedanken zu verscheuchen.
Rutherford redete sich zum hundertsten Mal ein, dass er nur hinausgegangen sei, um frische Luft zu schnappen. Ganz bestimmt nicht, weil er Missy mit Crawley im Garten hatte verschwinden sehen. Er zwang sich, nicht darauf zu achten, wie sehr es ihn irritierte– oder handelte es sich womöglich trotz aller
Weitere Kostenlose Bücher