Verbotene Sehnsucht
beiden abgeben«, sagte Lady Cornwall jetzt zu Cartwright und deutete mit ihrem Fächer auf James und Victoria, um dann einen Schritt zurückzutreten und sie wie ein Kunstwerk zu betrachten. James trat unter ihrem aufdringlichen Blick unruhig von einem Bein aufs andere. Die Frau besaß die Feinfühligkeit eines Rammbocks. Wenn die Nacht zu Ende ging, würden sämtliche Anwesende sie vor ihrem geistigen Auge im Bett gesehen und dann verheiratet haben– und zwar in genau dieser Reihenfolge.
Cartwright schien völlig verwirrt. Sein Blick schweifte von Lady Cornwall zu James und dann zu Victoria. » Äh… Ich glaube… Ja, ich finde, sie sind ein sehr attraktives Paar.« Er hatte sichtlich Mühe, die Worte über die Lippen zu bringen.
» Und wie ist es in York um diese Jahreszeit?« James konnte nur schnell das Thema wechseln, um den peinlichen Moment zu überbrücken. Es war das allererste Mal, dass sein Witz und seine Schlagfertigkeit ihn im Stich ließen. Selbst sein Charme versagte in dieser Situation. Bei wem sollte er ihn auch einsetzen? Sogar sein berühmtes Grinsen, das schon so viele Frauen verführt hatte, wollte nicht gelingen, wirkte gezwungen und hölzern. Das Lachen war ihm gründlich vergangen.
Seine Eltern wussten noch nichts von seinem Unglück. Seine Mutter verbrachte den Sommer in Italien, sodass er sie erst später über seine Verrücktheit in Kenntnis setzen musste. Mit seinem Vater dagegen war es eine ganz andere Sache. Wenn er auf den Fluren des Parlaments irgendwelche Gerüchte über eine Verlobung seines Sohnes aufschnappte, würde er ein gewichtiges Wörtchen mit ihm zu reden haben.
Er war so in Gedanken versunken, dass er gar nicht zuhörte, als sein Freund seine Frage beantwortete und ihm von dem Dauerregen in Yorkshire berichtete.
Hingegen registrierte er, dass Cartwright den Blick zum Tanzparkett schweifen ließ. Er wusste genau, worüber sein Freund sich Sorgen machte: Missy. Sein Magen krampfte sich zusammen, und die abgrundtiefe Verbitterung, die er in der vergangenen Woche mühsam unterdrückt hatte, erwachte zu neuem Leben. Was war nur mit ihnen allen passiert?
Hätte er sich nicht an jenem verhängnisvollen Abend vor Lust nach Missy verzehrt und gleichzeitig zu tief ins Glas geschaut, wäre die Begegnung mit Victoria anders verlaufen, nämlich ergebnislos, denn er würde ihr niemals erlegen sein. So aber war er sein Leben lang an eine Frau gebunden, die er nicht liebte und nicht wollte und die er vermutlich irgendwann deswegen verachtete.
» Ich glaube, ich habe Lady Randolph erspäht«, meinte die Marchioness und machte sich auf den Weg, um die sensationelle Neuigkeit gleich weiterzuverbreiten. James schien es mittlerweile, als werde er dem ganzen Saal wie ein Hauptgewinn oder wie eine Trophäe präsentiert. Es war beschämend, und seine Anwesenheitspflicht auf diesem Ball kam ihm wie ein von Lady Cornwall verhängtes Todesurteil vor.
Derweil hatte Missy endlich eine Gelegenheit gefunden, sich auf die Terrasse zurückzuziehen, zumindest eine Weile alleine zu sein. Sie erspähte mehrere Paare, die durch die Gärten schlenderten, für deren Pflege bestimmt Heerscharen von Gärtnern nötig waren, aber sie waren zu weit entfernt, um sie zu erkennen. Außerdem stand ihr nicht der Sinn nach Gesellschaft, sodass sie auch nicht die einsame Gestalt bemerkte, die sich im Schatten der Nacht verlor.
Missy hatte längst alle Hoffnung begraben, dass der Ball ihr noch vergnügliche Momente bieten könnte. Wohin sie blickte, überall sah sie die beiden. Ob sie tanzten oder sich eine Erfrischung gönnten oder sich unterhielten, James befand sich praktisch ständig an Lady Victorias Seite. Eifersucht von nie gekanntem Ausmaß schien sie zu zerreißen, und es war, als spüre sie bereits eine klaffende Wunde in ihrem Inneren. Sie hasste ihn deswegen. Nicht nur ihn, sondern alle beide.
Sie atmete den warmen Blumenduft ein, als sie neben einem Beet mit Tausendschönchen stehen blieb, und schlang die Arme schützend um ihren Oberkörper– über ihr verwundetes Herz.
Dann hörte sie Schritte und wusste, wer sich ihr näherte, bevor sie den langen Schatten sah. Ihr Instinkt und ihre aufgewühlten Sinne verrieten ihr, dass es sich nur um James handeln konnte. Sie spürte seine Anwesenheit mit jeder Pore ihres Körpers, weigerte sich aber, sich umzudrehen. Sekunden später stand er vor ihr: finster und beinahe Furcht einflößend, aber zugleich attraktiver, als ein Mann aussehen sollte, der ihr so
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