Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege
Leere der letzten Stunden verschwunden. Die Lethargie wich einem Gedankenwirbel. Wo nur, wo lag die Rettung? Ein Mensch, der Geld besaß und der ihr das auch geben würde. Niemand von den Londoner Freunden, soviel war sicher, aber ein Mensch von früher... Joanna...
Sie blieb stehen und merkte, daß sie so schnell gelaufen war, daß ihr Atem heftiger ging. Joanna... Sie wußte, daß sie die ganze Zeit an Joanna gedacht hatte als einzige Rettung und daß sie sich zugleich diesen Gedanken verboten hatte. Von allen Menschen auf dieser Erde schreckte sie am meisten davor zurück, ausgerechnet zu Joanna zu gehen. Sie vermochte sich kaum zu erklären, warum sie ihre einst so enge Vertraute heute ängstlich mied, doch von Joanna war etwas ausgegangen, das ihr nun die Ahnung gab, ein Zusammentreffen könnte für sie beide einen tragischen Verlauf nehmen.
Ich habe nur ein schlechtes Gewissen, beruhigte sie sich, dabei muß ich das gar nicht. Sie hat mir sicher längst verziehen, daß ich sie damals verließ. Ich hatte doch ein Recht auf ein eigenes Leben!
Im übrigen besaßen vermutlich weder Joanna noch Harriet genügend bares Geld, doch immerhin gab es Heron Hall mit seinen Kostbarkeiten. Wenn sie sie bat, etwas davon zu verkaufen... Dieser Weg sollte mir nicht schwerfallen, dachte sie. Habe ich nicht einmal gesagt, daß ich für John stehlen und morden würde? Nun gut, so kann ich mich auch für ihn demütigen! Von neuer Kraft erfüllt, eilte sie nach Hause zu Sally und Patrick. Die beiden hatten sich schon Sorgen um sie gemacht und waren erstaunt, sie nun mit glänzenden Augen wiederzusehen.
Auch der alte Billy, Johns Nachbar, war bei ihnen. Er hatte sich nach dem Schicksal seines Freundes erkundigt und saß nun niedergeschlagen in einer Ecke. Elizabeth griff lebhaft nach seiner Hand.
»Ich weiß einen Ausweg, ihm zu helfen«, verkündete sie. Mit eifrigen Worten berichtete sie von ihrem Plan.
»Und du meinst, Joanna wird dir helfen?« fragte Patrick mißtrauisch. Auch Billy äußerte Bedenken. Nur Sally stand sofort auf Elizabeths Seite.
»Männer müssen sich immer erst gegen alles stellen«, rief sie, »dabei ist dies ein wundervoller Einfall, Elizabeth! So bald wie möglich wirst du nach Norfolk reisen!«
Den ganzen Abend über besprachen sie die Einzelheiten, bis schließlich auch Patrick und Billy voller Anerkennung waren. Patrick suchte sein ganzes Geld zusammen, damit Elizabeth die Fahrt bezahlen konnte.
Als letztes Problem blieb die Frage, was Elizabeth anziehen sollte. Sie besaß nichts als den alten braunen Fetzen, den sie nun schon seit Wochen trug.
»Es wäre schrecklich, Joanna so entgegentreten zu müssen«, meinte sie, »sie braucht nicht zu wissen, wie schlecht wir dran sind!«
Sie sahen einander ratlos an, bis Sally plötzlich aufsprang, ins Nebenzimmer lief und dort eine Weile herumwühlte. Als sie wiederkam, trug sie über dem Arm ein weißes Kleid. Vorsichtig entfaltete sie den alten Stoff und breitete ihn über den Tisch. Alle erhoben sich.
»Mein Brautkleid«, erklärte Sally, »es ist achtzehn Jahre alt, aber ich habe es nur ein einziges Mal getragen!«
»Ich erinnere mich«, murmelte Patrick ergriffen, »1785! Du hast wie ein Engel ausgesehen!«
Das Kleid war sehr einfach, denn Sally Stewart hatte nie gute Zeiten gekannt und auch als Braut sparen müssen. Es war aus billigem, derbem Stoff gearbeitet, weder heute noch damals der Mode entsprechend, mit einem enganliegenden Oberteil, rundem, stickereiverziertem Ausschnitt, schmalen Ärmeln und leicht gebauschtem Rock. Das Weiß hatte einen leicht gelblichen Schimmer angenommen, doch das konnte nur erkennen, wer genau hinsah. An keiner Stelle war es geflickt, und nirgendwo gab es einen Fleck.
»Ich hatte es in Papier verpackt all die Jahre im Schrank liegen«, sagte Sally, »und nun sollst du es anziehen. Es ist nichts Großartiges, aber es wird dir stehen.«
»Ach Sally, ich danke dir«, rief Elizabeth, »ich freue mich so. Hoffentlich paßt es!«
Sie probierte das Kleid gleich an.
Es saß gut, nur in der Taille war es zu weit. Doch Sally schnitt aus einem alten himmelblauen Handtuch eine breite Schärpe, die sie um Elizabeths Mitte schlang und zu einer großen Schleife band.
»So«, meinte sie zufrieden, »jetzt würde dich selbst der König empfangen!«
Elizabeth trat vor den halbblinden Spiegel hinter der Tür und drehte und wendete sich nach allen Seiten. Ihre Augen bekamen ein siegesgewisses Funkeln, als sie ihren schlanken
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