Verbrannte Träume.
stecken. Sicher fühlte ich mich damit nicht. Am liebsten hätte ich mich mit dem Telefon im Schlafzimmer eingeschlossen, damit ich beim geringsten verdächtigen Geräusch die Polizei rufen konnte. Die Polizei rufen! Es kam mir wie ein Witz vor. Ausgerechnet die Polizei.
»Meine Herren. Ich glaube, mein Mann hat mit …«
Ich konnte es nicht mal denken, geschweige denn aussprechen. Nach einer Weile setzte ich mich an den Tisch in der Eßdiele und fing an, mir die Nägel zu lackieren. Ich dachte, so was Normales zu tun, hätte mich abgelenkt. Aber es war der blanke Horror. Auf dem Platz war ich zu nahe bei der Wohnungstür. Bei jedem Geräusch im Haus zuckte ich zusammen und rutschte mit dem Pinsel ab. Es hatte keinen Sinn. Ich schaffte es nur, die Tischplatte zu lackieren. Ich ging ins Wohnzimmer, schaltete den Fernseher ein und legte mich auf die Couch. Ich war müde und gleichzeitig überdreht, wußte nicht mehr, was ich noch denken sollte. Wenn es nur um diesen verfluchten Karton gegangen war, dann hatten sie jetzt, was sie wollten. Dann würden sie mich in Ruhe lassen. Auf RTL lief ein US-Thriller, eine Wiederholung. Ich hatte den Film schon einmal gesehen. Es ging um eine junge Frau, die um ihren Verstand gebracht und in den Selbstmord getrieben werden sollte, damit sie beerbt werden konnte. Es passierten merkwürdige Dinge im Haus. Sie hörte Geräusche und sah ihre Mutter, die seit Jahren tot war. Ich war genau in der richtigen Stimmung, mir so was anzusehen. Pro brachte eine deutsche Filmkomödie, eine alte Klamotte. Aber wenigstens wurde keiner umgebracht, also ließ ich sie laufen. Nur hingeschaut habe ich kaum einmal. Ich weiß auch nicht, was danach gesendet wurde. Ich glaube, ich habe nur nachgedacht. Und dabei drehte ich mich im Kreis. Ein Karton voller Kugelschreiber. Tarnung. Ein Karton mit einem doppelten Boden. Alle vierzehn Tage eine Lieferung. Und plötzlich eine außer der Reihe. Und Ulli geriet in Panik. Irgendwann schlief ich ein und erwachte, als das Telefon klingelte. Es stand auf dem kleinen Tisch neben der Couch, direkt neben meinem Kopf. Zuerst konnte ich mich nicht rühren, schaute auf die Uhr und dachte, jetzt geht es wieder los. Es war halb zwei. Psychoterror wirkt nachts intensiver. Der Anrufbeantworter schaltete sich ein. Zuerst Ullis Stimme mit der Ansage, der Pfeifton, dann eine andere Männerstimme. Ich kannte sie nicht, aber schon das erste Wort rüttelte mich auf.
»Link hier. Ich schätze, wir sollten mal miteinander reden.«
Ich hatte komisch gelegen, mir war der Arm eingeschlafen. Ich brachte ihn nicht so schnell in die Höhe, wie es nötig gewesen wäre. Während ich zweimal rasch eine Faust ballte, sprach er weiter:
»Ich war im Krankenhaus. Schönen Gruß von Ulli.«
Dann hatte ich den Hörer in der Hand, im selben Moment machte es Klack, und die Leitung war tot.
»Warten Sie«, rief ich noch. Viel zu spät, er hatte aufgelegt. Inzwischen kannte ich seine Nummer auswendig. Ich vertippte mich zweimal, ehe ich sie richtig gewählt hatte. Den Hörer am Ohr, erwartete ich das Freizeichen. Es kam. Und tutete endlos. Im Geist hörte ich Marcia sagen:
»Er ist viel unterwegs.«
Vielleicht auch nicht. Vielleicht ging er nicht ans Telefon, weil er sich denken konnte, daß ich ihn anrief, und weil er wütend auf mich war. Das war er mit Sicherheit, wie sonst hätte ich den schönen Gruß von Ulli interpretieren sollen? Ich wußte mir nicht anders zu helfen, rief in der Klause an. Auch dort das Freizeichen, dreimal, viermal, fünfmal. Nach dem sechstenmal wurde abgehoben.
»Gott sei Dank«, sagte ich, statt meinen Namen zu nennen. Es war Marcia, und sie wußte sofort, wer am Apparat war.
»Was ist denn los?«
fragte sie.
»Du klingst aufgeregt. Ist was passiert?«
Ich erzählte ihr von Renés Anruf, nur davon.
»Er hat einfach aufgelegt. Was soll das denn? Was ist los mit dem Typ?«
»Moment«, sagte Marcia.
»Frag ihn selbst. Ich gebe ihn dir mal.«
Gleich darauf die Männerstimme, die ich zwei Minuten zuvor zum erstenmal gehört hatte.
»Link.«
»Andrea Meuser«, sagte ich,«Sie haben gerade bei mir angerufen, Herr Link. Ich …«
Weiter kam ich nicht. Er unterbrach mich mit einem kurzen Ton, der ebensogut ein unterdrücktes Lachen wie ein Ausdruck von Wut sein konnte.
»Sieh einer an, die Märchenfee«, stellte er fest, und noch bevor ich reagieren konnte, herrschte er mich an:
»Also was ist nun? Was soll der Quatsch mit dem schwerverletzten Ulli in
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