Verdacht auf Mord
starke Sonne im Rücken. Sie sah Pfifferlinge, die wie Laub im Moos leuchteten. Vergilbtes Birkenlaub, dachte sie immer, ehe sie sich hinkniete und die unteren Äste einer Tanne anhob, an denen nur noch braune Nadeln hingen. Dann sah sie die ganze Pfifferlingfamilie. Die großen goldgelben Hüte und die winzigen, runden Kinder. Die ließ sie stehen, sie würde die Stelle schon wiederfinden. Sie fand immer zu ihren Pilzgründen zurück. Und wenn sie sich Mühe gab, fand sie sogar Trichterpfifferlinge im Moos, ebenso wohlschmeckend, aber mit ihren braunen Hüten nicht genauso verlockend.
Sie erlaubte es sich, dort einen Augenblick zu verweilen, während die rosa Wände sie beinahe überfielen. Als sei sie in eine Marzipantorte geraten. Eine leichte Übelkeit befiel sie, aber sie kam dennoch halbwegs zurecht. Die Schwestern der Station vierundzwanzig waren wahnsinnig nett und hießen sie willkommen. Eine Schwester Gunilla, Mitte fünfzig, mit braunen Augen und zurückgekämmtem, von einer Spange gehaltenem Haar, und eine Hilfsschwester Jessika, Anfang zwanzig, bleich und etwas füllig, mit flachsblondem, dickem Haar bis zu den Ohren. Natürlich hießen sie auch Cecilia herzlich willkommen. Hauptsächlich sie. Sie gaben ihr die Hand und sprachen mit ihr. Sie redeten auf sie ein, obwohl die Reaktion sehr zu wünschen übrig ließ.
Schwester Gunilla vertiefte sich in das Tagebuch, das Cecilia begleitet hatte, seit sie in die Klinik gekommen war. Sie blätterte rasch die Eintragungen durch, die von den Schwestern, aber auch von Veronika und Dan stammten. Kürzere und längere Einträge, die der Patientin später dazu dienen sollten, sich eine Vorstellung von der Zeit zu machen, an die sie sich nicht erinnern konnte und die in Dunkel gehüllt bleiben würde. In dem Tagebuch fanden sich auch recht schonungslose Fotos. Noch hatte man Cecilia nicht mit ihnen konfrontiert. Das würde man erst viel später tun.
»Wir werden dieses Tagebuch weiter benutzen«, meinte Schwester Gunilla und lächelte. Ihre Augen waren munter wie die eines Eichhörnchens. Sie legte das Tagebuch auf den Nachttisch.
Die Übelkeit nahm kein Ende. Ein Rumoren und Brennen. Veronika fragte sich, ob sie wohl ein Magengeschwür entwickelte oder zumindest eine Gastritis. Damit hatte sie noch nie zu tun gehabt. Sie ließ sich auf den Sessel sinken. Sie war es nicht gewohnt, leidend zu sein. Sie musste etwas gegen das Sodbrennen nehmen und versuchen, mehr zu schlafen. Ganz offensichtlich hatte sie nicht genug Schlaf bekommen. Die Maschine streikte. Aber das war vielleicht nicht sonderlich verwunderlich.
Cecilia hatte ein Einzelzimmer bekommen. Als sie nicht mehr am Respirator hing, war sie in ein Vierbettzimmer auf der Intensivstation gekommen, aber jetzt war man der Meinung, dass sie auf eine normale Station verlegt werden könne.
Auch hier war die Aussicht einzigartig. Die Station lag auf derselben Etage, und man hatte Cecilia nur ein Stück den Gang hinuntergerollt. An dieser wunderbaren Aussicht sah man sich nie satt. Das funkelnde Wasser, die dänische Küste mit der dänischen Hauptstadt, die Öresundbrücke und das Malmöer Hochhaus Turning Torso, das den riesigen Kran der Kockumwerft ersetzt hatte, der einst das Wahrzeichen der Stadt dargestellt hatte.
Nein, daran hatte sie nichts auszusetzen.
Und doch begann sie sofort wieder zu weinen, nachdem die Schwestern sie allein gelassen hatten. Sie wandte der Schönheit draußen den Rücken zu, während Cecilia hinter ihr auf dem Rücken lag und ausruhte. Sie wollte Cecilia nicht zeigen, dass sie traurig war, obwohl ihr klar war, dass ihre Tochter das vermutlich gar nicht bemerkt hätte.
Plötzlich stand Schwester Gunilla in der Tür.
»Brauchen Sie noch etwas?«
»Nein«, schniefte Veronika, die sich in ihrem Elend ertappt fühlte, und schüttelte den Kopf. »Alles in Ordnung.«
»Es strengt natürlich an«, meinte Schwester Gunilla. »Das ist immer so und auch ganz selbstverständlich. Jetzt wird alles anders. Neue Station und neue Leute, mit denen man sich auseinandersetzen muss.«
Veronika hörte ihr zu. jedes Wort war ein Trost. Offenbar hatte sie Mühe, die Geborgenheit der Intensivstation aufzugeben. jedenfalls bereitete ihr die Verlegung größere Mühe als Cecilia selbst. Cecilia war die meiste Zeit müde. Sie schlief wie ausgepowert, wenn sie sie nicht weckten.
Trotzdem war Veronika natürlich dankbar über diesen ersten Schritt zur langsamen Genesung. Die erste Station auf dem Weg zur
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