Verdacht auf Mord
Rehabilitierung in der Gehirntraumaabteilung der Rehaklinik Orup. Man hatte sie und Dan über die Pläne informiert, und das war ein gutes Gefühl. Aber sie wagte nicht, daran zu denken, wie es mit Cecilia weitergehen würde. Würde sie wirklich wieder so werden wie früher, wie einige behauptet hatten? Es hatte aber auch Leute gegeben, die sich da nicht so sicher gewesen waren.
Sie musste sie eben bedingungslos lieben, wie immer es auch kommen mochte.
Sie biss sich auf die Unterlippe. Wollte ihrer Angst Einhalt gebieten. Der Tatsache, dass sie überhaupt Angst hatte. Die Übelkeit war vorübergegangen und von einem brennenden Schmerz in der Magengrube abgelöst worden. Sie beugte sich vornüber, ließ sich wieder auf den Sessel sinken und massierte vorsichtig ihren Bauch.
»Wie geht’s?«
Schwester Gunilla beugte sich über sie und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
»Es wird schon besser.«
»Es ist natürlich besonders anstrengend, wenn man von außerhalb kommt und nicht einmal zu Hause wohnen kann.«
Das fand sie auch. Sie litt ständig an Heimweh, ein Gefühl, das sie, seit sie erwachsen war, nicht mehr empfunden hatte. Claes und Klara. Das Meer und der Wald. Sogar nach ihrer Arbeit sehnte sie sich, obwohl dieses Gefühl zwiespältig war. Wie sollte sie noch die Kraft für andere gestrauchelte Menschen aufbringen? Was sie am meisten brauchte, war vermutlich der Alltagstrott. Morgens aufzustehen und etwas Bestimmtes vorzuhaben. Ihr fehlten auch die Kollegen. Obwohl sie sich gelegentlich hintergangen fühlte. Sie hatte zeitweilig das Gefühl gehabt, sich der Klinik zu entfremden, weil sie benachteiligt wurde, seit einige abgebrühtere Kollegen dort arbeiteten. Dass es Zeit war, etwas Neues anzufangen. Besser geflohen als schlecht gefochten! Aber jetzt wünschte sie nichts sehnlicher, als in den alten Trott zurückzukehren. In die Geborgenheit. Jetzt, wo die Wirklichkeit so unberechenbar geworden war.
»Mit dem Schlaf war es in letzter Zeit nicht weit her«, entschuldigte sie sich.
Schwester Gunilla nickte. Veronika war klar, dass diesen Schwestern nichts neu war. Alle schienen zu wissen, wie sie sich fühlte. Nicht nur Cecilia. Sie fragte sich, ob sie anschließend besser in der Lage sein würde, sich um Angehörige zu kümmern. Weniger oberflächlich, hoffentlich offener für das Schmerzliche.
»Wir kümmern uns um Cecilia, falls sie einen Moment rausgehen wollen«, sagte Schwester Gunilla und schob eine Haarsträhne hinters Ohr, die aus der Spange gerutscht war.
Die Magenkrämpfe ließen nach. Veronika nahm ihre Jacke und ihre Tasche und tätschelte der schlafenden Cecilia die Wange. Sie reagierte, indem sie die Nase krauszog.
»Tschüs, Kleine, ich komme etwas später wieder.«
Schwester Gunilla war noch bei Cecilia, als sie auf die Fahrstühle zuging. Sie wartete ein paar Sekunden, dann überlegte sie es sich anders und ging die Treppe nach unten.
Die zehn Stockwerke schaffte sie im Nu.
Etwas hielt sie zurück. Aber was?
Claesson saß in seinem Büro. Dass Kleider am besten am Körper trockneten, war ein Grundsatz, an den er zu glauben versuchte. Seine Jacke hing auf einem Kleiderbügel auf der Toilette und tropfte. Sein weinroter Pullover hing auf der Heizung, sein Hemd war halbwegs trocken geblieben. Es war kurzärmelig. Die Hosenbeine klebten auf seinen Oberschenkeln, und das würde vermutlich bis Feierabend so bleiben.
Er dachte über die Ehefrau des Opfers nach, über Nina Bodén, während der Geruch nasser Kleider immer mehr zunahm, je heißer der Heizkörper wurde, den er ganz aufgedreht hatte. Noch war das Fenster nicht beschlagen, aber das war nur eine Frage der Zeit. Er hatte keine größere Lust, sich noch einmal mit Frau Bodén auseinanderzusetzen. Er wurde in ihrer Gegenwart immer so verdammt schläfrig. Ihr Haus war irgendwie in die Jahre gekommen und hatte eine müde, ängstliche und irgendwie auch biedere Ausstrahlung.
Das war ungerecht, aber er erlaubte es sich trotzdem. Mit der Nachbarin konnte er allerdings am Nachmittag noch sprechen, das hatte er bisher noch nicht getan. Da würde er dann aber ein Auto aus dem Carpool nehmen.
Er griff zum Telefonhörer. Sie hieß Eva-Lena Bengtsson.
Sie öffnete die Tür einen Spalt. Zwei- ängstliche Augen. Er musste ihr seinen Dienstausweis unter die Nase halten, obwohl sie diesen Termin vereinbart hatten und sie ihn erwartete.
Das Haus war pedantisch aufgeräumt und wirkte eine Spur tot, wie es häufig der Fall ist, wenn alles
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