Verdacht auf Mord
erkannte sie wieder, denn sie hatten dieselben, allerdings in Weiß zuhause. Ihm gefiel die Mühe, die sie sich machte.
»Ich will es einmal so sagen«, fuhr sie fort, faltete ihre gelbe Papierserviette zu einem Dreieck und fuhr mit dem Fingernagel am Falz entlang. »Jan besaß fundierte Kenntnisse und war ein ausgezeichneter Pädagoge.«
Sie runzelte die Stirn.
Aber … dachte er.
»Aber er war sehr launisch. Besser gesagt, wurde er es immer mehr mit zunehmendem Alter.«
»Wie äußerte sich das?«
»Ich glaube, das hing teilweise damit zusammen, dass er schlecht hörte, es aber nicht recht zugeben wollte.«
Sie faltete ihre Servietten mit zunehmendem Elan.
»Und?«
»Daher auch die zu erwartende Operation. Man muss hinzufügen, dass der Lehrerberuf wirklich fantastisch ist. Es ist ein Privileg, die Entwicklung von Generationen von Jugendlichen über Jahre hinweg zu verfolgen. Gleichzeitig ist das aber auch eine harte Arbeit, wenn es nicht richtig funktioniert.«
»Das kann ich mir denken.«
»Die Anforderungen an die Lehrer sind sehr hoch. Viele wursteln sich so durch und sehnen sich nach der Rente. Zu denen gehörte vermutlich Jan.«
»Vermutlich?«
»Ich habe nie mit ihm darüber gesprochen. Das hätte ich natürlich tun müssen.«
Kerstin Malm hörte damit auf, ihre Serviette zu malträtieren. Sie lag kompakt zusammengefaltet neben ihrer Tasse. Sie beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf den Tisch und legte ihr Kinn auf die gefalteten Hände.
»Ich hatte einfach nur das Gefühl, dass es sich so verhielt«, meinte sie nachdenklich.
»Was?«
»Dass er zu denen gehörte, die klagen.«
»Aber klagte er denn mehr als die anderen?«
Sie antwortete nicht, lehnte sich zurück und legte die Hände in den Schoß.
»Nein, eigentlich nicht. Aber früher hatte er nie geklagt. Es wirkte so, als hätte er die Kontrolle verloren.«
»Über die Schüler?«
»Über das Leben«, meinte sie und seufzte wehmütig.
Das waren große Worte, die sich leider bewahrheitet hatten. Jan Bodén hatte ein für alle Mal die Kontrolle über das Leben verloren.
»Was meinen Sie damit, dass er als Lehrer nicht funktioniert hätte?«
»Er hielt sich wissensmäßig nicht à jour. Besaß nur mäßige soziale Fähigkeiten. Hatte Probleme mit der Disziplin.«
»Hatte er die Schüler nicht im Griff?«
»Ja und nein. Ursprünglich galt er als streng.«
»Wie lange ist das her?«
»Das war noch so bis vor einigen Jahren. Als ich Studiendirektorin wurde – das war, ehe ich Gymnasiumschefin wurde, und das ist sechs Jahre her –, galt er als streng, aber gerecht. Und das blieb teilweise so.«
»Aber Sie meinen, dass er nicht mit allen Schülern fertig wurde?«
»Das schafft sowieso niemand.«
»Nein, natürlich nicht. Aber was genau hat dann nicht funktioniert?«
»Es müssen nicht unbedingt dieselben Schüler sein, die einmal mit seinen manchmal zu hohen Ansprüchen konfrontiert wurden, die sich dagegen auflehnen. Die Schüler wechseln jedes dritte Jahr. Aber manchmal habe ich das Gefühl, dass sich Dinge herumsprechen und sich Einstellungen von einem Jahrgang auf den nächsten vererben.«
»Aber was tat er denn nun genau?«
»Bei manchen Lehrern genügt ein Blick, um alle in Angst zu versetzen. Oder jedenfalls, um die Ordnung wiederherzustellen. Vielleicht auch ein paar ironische Bemerkungen. Das Übliche, mit anderen Worten.«
Er nickte. Denn Mangel an Verständnis und Demokratie führte zu Schreckensherrschaft.
»Es gibt Lehrer, die gerne diese Fähigkeit hätten. Die, bei denen im Klassenzimmer das Chaos herrscht«, fuhr sie fort.
»Aber doch wohl nicht auf dem Gymnasium?«
»Doch. Nicht alle Schüler träumen davon, ihre Tage auf der Schulbank zu verbringen.«
Plötzlich schien sie das Gesagte zu bereuen. Sie stocherte in dem Gebäckstück, das sie vermutlich hatte übrig lassen wollen, überlegte es sich dann anders und schob den Rest resolut in den Mund.
Alle Frauen haben ihre Tricks, um den Kalorienverbrauch zu reduzieren, dachte er. Oder um sich selbst zu betrügen.
»Ich muss aber betonen, dass Jan auch Humor besaß«, sagte sie und schaute aus dem Fenster. Draußen war der Himmel beunruhigend schwarz geworden. »Das geht auch nicht anders, wenn man mit Menschen zu tun hat.«
Er nickte.
»Und dann hatte er natürlich noch die Noten als Druckmittel, um es einmal milde auszudrücken.«
Es donnerte Besorgnis erregend und begann zu schütten, als Claesson mit eingezogenem Kopf über den Schulhof
Weitere Kostenlose Bücher