Verdacht auf Mord
Schlimmste war, dass Jan tot war. Was passiert war, ließ sich natürlich nicht ungeschehen machen. Aber man konnte es hinter sich lassen. Ihr Jan-Olof war zurückgekommen.
»Aber es ist doch gar nicht sicher, dass es sich um die Telefonnummer einer Frau handelt«, meinte sie beschwichtigend. »Es kann irgendeine Nummer sein.«
Aber sie hörte selbst, dass es nicht überzeugend klang. Telefonsex, Prostitution, wer weiß was!
»Vielleicht handelt es sich ja nicht einmal um eine Telefonnummer?«, schlug sie vor.
Und auf einmal wusste sie, weswegen ihr die Zahlen so bekannt vorgekommen waren.
Nicht die Folge.
Aber die Wahl der Zahlen.
»Ich bin auf dem Stortorget«, sagte Karl in sein Handy, und sie hörte den Lärm im Hintergrund. »Komm doch auch. Es sind noch ein paar andere da.«
»Es ist was passiert«, wimmerte Trissan.
Er hörte, wie aufgeregt sie war.
»Ist es so schlimm, dass du es hier nicht erzählen kannst?«
»Vielleicht. Aber ich komme. In zwei Minuten bin ich da.«
Es dauerte vier, weil sie zu Fuß gehen musste. Ihr Fahrrad stand nicht mehr dort, wo sie es nachlässigerweise auf der Straße abgestellt hatte. Aber sie war so am Boden zerstört gewesen, dass sie kaum gewusst hatte, was sie tat, als sie von der Polizei nach Hause gekommen war. Jetzt joggte sie die Lilla Fiskaregatan entlang. Es ging auf halb sieben zu. Die Läden waren bereits geschlossen, und die Stadt war fast menschenleer.
Die Polizei hatte erwogen, sie unter Personenschutz zu stellen. Man hatte sie gefragt, ob nicht jemand bei ihr wohnen oder ob sie nach Hause zu ihren Eltern nach Ystad fahren könne. Aber das hatte sie abgelehnt. Also würde man sie mit einem Alarmsystem ausrüsten. Außerdem habe ich ja Nachbarn, die mich schreien hören, falls jemand einbricht, dachte sie, aber wusste auch, dass das bei Emmy nicht funktioniert hatte. Was half das schon? Außerdem war bei Emmy nicht eingebrochen worden. Die Tür war intakt. Und Cecilia war auf der Straße niedergeschlagen worden.
Reiner Terror, dachte sie. Wer hatte es nur auf sie abgesehen? Oder handelte es sich um zwei Personen?
Karl saß in der Bar. Jonathan Lönn, der Scheißkerl, war auch da. Sie wusste, was sie von ihm zu halten hatte. Cecilia hatte ausführlich berichtet. Er war jedoch wahnsinnig gut aussehend. Leider. Und jetzt lächelte er.
»Hallöchen«, sagte er milde und wollte wie Karl auch eine Umarmung.
Rasch legte sie ihm ihren Arm um den Hals und drückte ihre Wange an die seine raue. Sein lockiges Haar kitzelte an ihrer Nase.
»Und das hier ist Leo«, meinte Karl, und sie gab ihm gehorsam die Hand. »Und das hier Gustav.«
Sie nickte auch Gustav zu, und dieser gab ihr einen weichen Händedruck. Er kam ihr vage bekannt vor. Ein gleichmäßiges Gesicht, das man leicht vergaß. Blonde Bartstoppeln, die Haut der Wangen etwas rau, vermutlich von der Sommersonne ausgetrocknet. Vielleicht war er Segler, etwas nachlässig gekleidet. Leo schien mehr so ein dunkler, schwer genießbarer Typ zu sein. Er war kaum eines Lächelns fähig.
Das Gedränge am Tresen, das ständige Kommen und Gehen nervten sie. Dauernd wurde sie angerempelt. Sie hatte nicht vor, bei den vielen Leuten, die um sie herumstanden, auch nur einen Ton zu sagen. Aber sie musste sich jemandem mitteilen.
»Können wir nicht woanders hingehen?«, flüsterte sie.
Karl erhob sich von seinem Barhocker und trat mit ihr auf den Stortorget. Kaum war die Tür hinter ihnen zugefallen, da brach es aus ihr heraus. Schluchzend und mit Tränen auf den Wangen erzählte sie. Karl musste mehrmals nachfragen, ehe er sich einen Reim darauf machen konnte, was geschehen war. Dann nahm er sie ganz fest in die Arme. So blieben sie lange stehen. Sie glaubte, dass auch er weinte, aber das war mit einem Ohr an seiner warmen Brust und seiner großen Hand am Kopf schwer zu entscheiden.
Wenn doch die Zeit jetzt stehen geblieben wäre. Sie war so außer sich und in ihrer Verzweiflung so verwirrt, dass sie sich einen Moment lang der Geborgenheit hingab, dem schweren, sinnlichen Duft seines Rasierwassers, seiner selbstverständlichen Umarmung, der Zufriedenheit darüber, getröstet zu werden, und der Tatsache, dass es plötzlich und überraschend in ihr zu kribbeln begonnen hatte. Es siedete und pochte in ihrem Unterleib.
Aber das würde sie für sich behalten.
Was sich die Leute in diesem Augenblick dachten, war ihr plötzlich gleichgültig. Ihr ganzes Leben stand Kopf. Vorsichtig schaute sie unter seinem Arm hervor.
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