Verdacht auf Mord
aus«, sagte Cecilia und deutete auf das Foto.
»Das bist du.«
»Das weiß ich doch!«
Sie versuchte, ironisch zu lächeln.
»Dir stehen auch kurze Haare«, meinte Veronika.
»Das ist nicht kurz. Das ist kahl.«
Sie sprach etwas schleppender als sonst, aber immerhin konnte sie sich verständigen und rumalbern wie früher. Sie war wieder die Alte. Das war Cecilia, und Veronika jubelte innerlich.
»Hättest du gerne eine Perücke?«
Cecilia dachte eine Weile nach.
»Nein. Ich glaube, das schenken wir uns!«
Veronika musste lachen. Das war eine Wohltat. Mit Cecilia ging es jetzt rasch aufwärts, obwohl es noch ein weiter Weg war.
»Hör mal«, sagte Veronika.
Cecilia wandte ihr langsam das Gesicht zu.
»Deine Wohnung ist wirklich sehr nett.«
Cecilia sah sie schweigend an.
»Du erinnerst dich doch an deine Wohnung?«
»Vielleicht …«
»Du warst ja noch gar nicht richtig eingezogen.«
»Ach.«
»Sie liegt in der Tullgatan, erinnerst du dich?«
Cecilia dachte nach.
»Nein.«
»Du bist dort an dem Tag eingezogen, an dem das Unglück passierte.«
»Ach.«
»Die ganze Wohnung ist also noch voller Umzugskartons. Einiges habe ich allerdings schon ausgepackt.«
Schweigen.
»Vielleicht erinnere ich mich.«
»Ich dachte, wir könnten dir vielleicht beim Einrichten helfen, ein paar Möbel aus Oskarshamn mitbringen, die Kommode, vielleicht auch ein Regal kaufen. Hast du was dagegen? Du kannst es nachher auch wieder ändern.«
Cecilias Konzentration ließ nach. Träumend sah sie aus dem Fenster. Zwei Düsenflugzeuge zeichneten weiße Striche an den Himmel.
Nina Bodén stand auf der Schwelle des Büros der Direktorin. Man sah ihr sofort an, dass sie trauerte.
Kerstin Malm war erleichtert darüber, ihr bereits im ICA begegnet zu sein. Jetzt bat sie Nina Bodén, an dem runden Tisch Platz zu nehmen. Sie erwog, die Teelichter anzuzünden, ließ es dann aber bleiben. Draußen schien die Sonne, und eine zusätzliche Beleuchtung war nicht nötig. Außerdem hätte es ihrem kurzen Termin den Charakter einer Andacht verleihen können. Das wollte sie tunlichst vermeiden.
Kerstin Malm hatte eigentlich keine Zeit für eine längere Unterredung. Sie hatte natürlich vor, zur Beerdigung zu gehen, wann auch immer diese stattfinden mochte, aber das musste sie der schweigsamen Witwe ja nicht jetzt schon auf die Nase binden. Auch nicht, dass die Fachkollegen dabei waren, einen Nachruf zu verfassen. Das würde sie schon früh genug merken.
Nina Bodén saß in aufrechter Haltung auf ihrem Stuhl. Sie wirkte vollkommen erschöpft. Kerstin Malm fühlte sich bemüßigt anzufangen.
»Das war wirklich eine Überraschung«, meinte sie unüberlegt.
Sie erstickte fast an dieser Unbesonnenheit. Natürlich kam solch ein Trauerfall überraschend. Trotzdem hatten sie an der Schule kein Kriseninterventionsteam zusammenstellen oder andere außergewöhnliche Maßnahmen ergreifen müssen. Sie hatte sich in eigener Person zu den Klassen begeben, die Jan hauptsächlich unterrichtet hatte, und hatte sie in knappen Worten von den Geschehnissen in Kenntnis gesetzt, ohne sich zu irgendwelchen Mutmaßungen hinreißen zu lassen. Sie hütete ihre Zunge. Es war zweifellos besser, zu wenig als zu viel zu sagen. Unüberlegte Worte ließen sich nur schwer zurücknehmen. Mit dem Schweigen hatte sie keine Probleme. Ideal war es natürlich, sich deutlich und konsequent zu äußern.
Die Schüler seien natürlich entsetzt gewesen, berichtete sie Nina Bodén. Einige hätten ihrer Trauer besonderen Ausdruck verliehen. Sie sah, wie Nina Bodéns Augen feucht wurden und wie sie dann ihren Blick abwandte und aus dem Fenster sah.
Natürlich erzählte sie nicht, dass sich die Schüler ohnehin bereits an Jans Krankenvertretung, einen pickligen, frisch examinierten Jüngling, gewöhnt hatten. Sie sagte auch nicht, dass nicht nur die Schüler, sondern auch die Kollegen der Meinung waren, das große Los gezogen zu haben. Der junge Lehrer war voller Enthusiasmus, und das steckte an. Man hatte ihr bereits zu verstehen gegeben, dass alle ihn gerne behalten wollten, und das wirkte jetzt durchaus machbar.
Nein, man soll nicht denken, man sei unersetzlich, dachte sie, während sie darauf wartete, dass Nina Bodén etwas sagen würde. Jedenfalls nicht am Arbeitsplatz. Höchstens den nahen Verwandten. Das musste man sich ab und zu vergegenwärtigen. Eine Mutter oder ein Vater ließen sich nicht ersetzen. Und ein Kind noch viel weniger.
Diesen abgrundtiefen Schmerz
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