Verdacht auf Mord
hatte, ob die Tür überhaupt abgeschlossen war. Also machte sie noch einmal kehrt und drückte die Klinke herunter.
Erstaunlicherweise war nicht abgeschlossen.
Sie hielt auf der Schwelle inne. In der Diele brannte eine runde weiße Deckenlampe aus Glas. Die Badezimmertür ihr gegenüber war angelehnt. Dort war es dunkel. Sie lauschte, ob etwas zu hören sei, aber es herrschte Totenstille. Niemand war da. Aus Angst hielt sie trotzdem den Atem an. Ein Abflussrohr rauschte, in der Feme wurde eine Tür zugeschlagen, ein Kind schrie, aber diese Geräusche kamen alle aus den anderen Wohnungen.
Sie schüttelte den Kopf. Typisch Emmy! Sie hatte es wohl zu eilig gehabt, um zuzuschließen. Die Wohnungstür fiel nicht automatisch ins Schloss. Emmy kann froh sein, dass niemand ihre Wohnung geplündert hat, dachte Trissan und betrachtete lächelnd einen orientalischen rubinroten Pantoffel mit geschwungener Spitze, der mitten in der Diele lag. Den anderen sah sie nirgends.
»Hallo?«
Auf ihren vorsichtigen Ruf antwortete nur Stille. Sie gab sich einen Ruck und trat in die Diele. Da klingelte ihr Handy.
Sie sah auf dem Display, dass es Emmys Mutter war. Jetzt nicht, dachte sie. Ich kann nicht drangehen. Sie brachte das Handy zum Schweigen und ging vorsichtig weiter in die Wohnung. In der Küche brannte ebenfalls Licht. Zwei Bierflaschen standen auf der Spüle. Ich hatte Recht, dachte Trissan. Emmy hat jemanden kennen gelernt. Sie wusste, dass Emmy nur selten Bier trank. Sie zog Wein vor.
Sie schaute ins Schlafzimmer. Die Rollos waren heruntergelassen, und das ungemachte Bett lag in trübem Dunkel. Die Lampe auf dem Nachttisch leuchtete schwach. Als sich Trissans Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte sie, dass Emmy es sehr eilig gehabt haben musste, denn überall im Zimmer lagen Kleider verstreut.
Trissan beruhigte sich etwas, drehte sich rasch in der Diele um und trat ins Wohnzimmer.
Nach nur wenigen Schritten auf dem Parkettfußboden erstarrte sie. Langsam hob sie ihre Hand zum Mund, um nicht schreien zu müssen. Wie gelähmt und ohne ein einziges Mal zu blinzeln starrte sie aufs Sofa.
Emmy lag auf dem Rücken. Dass sie nicht schlief, war ganz offensichtlich. Ihre Stellung war steif und unnatürlich. Ihr Kopf war zur Armlehne zurückgebeugt, und ein Bein war zu Boden gerutscht. Die Augen waren geöffnet. Sie starrte an die Decke. Ihr Mund war geöffnet.
Sie wusste nicht, wie viele Minuten vergangen waren. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Emmys Mutter rief wieder an, als sie unten die Haustür hörte und rasche Schritte nach oben kamen. Sie antwortete auch dieses Mal nicht.
Sie saß vor der Tür auf den kalten Treppenstufen. Sie war immer noch ebenso hungrig, durstig und allgemein erschöpft wie zuvor, aber jetzt spielte das keine Rolle mehr. Sie fühlte sich vollkommen leer.
Es waren mehrere Personen. Eine Polizistin nahm neben ihr auf der Treppe Platz. Sie war in ihrem Alter, groß und schlank und hatte einen flachsblonden Zopf auf dem Rücken.
»Ich habe mein Handy abgestellt«, sagte sie zu der Polizistin. »Ich will nicht mit ihrer Mutter reden. Sie weiß noch nichts.«
»Das machen wir dann schon«, erwiderte die Polizistin und legte ihr einen Arm um die Schultern. »Wir kümmern uns darum.«
Ein Arzt von der Abteilung für Gehirntraumata der Rehaklinik Orup, die etwa dreißig Kilometer von Lund entfernt lag, würde im Verlauf des Tages Cecilia untersuchen, um festzustellen, wann und ob eine Behandlung in Orup sinnvoll für sie sei. Veronika hatte sich sagen lassen, dass die Rehaklinik vorbildlich und die Behandlung dort sehr breit gefächert sei.
Das Kopfende des Bettes war aufgerichtet. Veronika hatte einen Spiegel in der Hand, und Cecilia griff danach und hielt ihn sich vors Gesicht. Schaute. Ihr Gesicht war bleich und zart. Sie hatte abgenommen, aber nicht so, dass es aufgefallen wäre. Sie sah fast aus wie vorher, bloß kahlköpfig. Von vorne waren die Narben, die wie schwarze Inschriften auf der Kopfhaut wirkten, kaum zu sehen. Die Wunden verheilten allmählich. Sie trug keinen Verband mehr.
Veronika hielt ihr auch ein Foto von ihr hin, das bei der Hochzeit aufgenommen worden war. Die Schwestern der Station hatten vorgeschlagen, dass sich Cecilia mit ihrem »neuen« Aussehen vertraut mache und darüber nachdenke, ob sie eine Perücke tragen wolle, bis ihr eigenes Haar nachgewachsen sei. Veronika hatte die Telefonnummer des Perückenmachers auf einem Zettel notiert.
»Die sieht nett
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