Verdacht auf Mord
haben können. Aussage stand damals gegen Aussage. Und ich wiederhole: Es gab keinerlei Beweise. Jan wäre ja sonst wohl kaum Lehrer geblieben.«
»Es wurde nie eine Anzeige erstattet«, stellte Claesson fest.
»Ich glaube, die Sache verlief im Sand.«
George Johansson war immer noch sehr aufgebracht, sprach aber jetzt leiser.
»Der damalige Direktor fand nichts, was für ein Disziplinarverfahren gereicht hätte«, fuhr er fort. »Es passiert so leicht, dass sich irgendwelche Mädchen in einen Lehrer verlieben und dann was mit sexueller Belästigung erfinden, wenn er ihnen nicht die Aufmerksamkeit schenkt, die sie sich erhofft haben. Wenn man etwas hätte beweisen können, dann wäre das natürlich etwas ganz anderes gewesen.«
Seine braunen Augen suchten Zustimmung in Claessons Blick. Dieser verzog jedoch keine Miene. Johansson faltete die Hände.
»Und vielleicht war sie ja auch willens …«
Damit wäre auch das gesagt, dachte Claesson und bemerkte, dass die Wangen des Oberstudienrats langsam von einem wettergegerbten Grau in ein flammendes Rot übergingen.
Ein schamvolles Erröten. Vielleicht.
Claesson und Peter Berg verließen schweigend das Wohnviertel. Als sie in den Östersjövägen einbogen und Richtung Zentrum fuhren, seufzte Peter Berg, der am Steuer saß, tief.
»Alte Säcke«, sagte er Richtung Windschutzscheibe.
Claesson lächelte. Das kann ein junger Mann wie du leicht sagen, dachte er.
»Wir müssen diese Schülerin auftreiben«, meinte er dann.
»Sieht ganz so aus.«
»Ihr Name ist Karl Wallin und Sie sind einunddreißig Jahre alt, stimmt das?«
»Ja.«
In Gillis’ Büro im Lunder Präsidium war es kühl, was gegen Nachmittag auch nötig wurde. Das Gehirn war dann träger.
Im Augenblick hatte er es satt, gebildete, sogenannte jüngere Erwachsene zu vernehmen. Am Vormittag hatte er mit einem jungen Mann gesprochen, einem Kommilitonen Emmy Höglunds. Jurist, bleich und schmal wie eine Lauchstange. Auf den ersten Blick hatte er antriebslos gewirkt, sich dann aber kritisch hinterfragend und überheblich geriert. Ein typischer Schreibtischmensch, der noch nie etwas Schwereres als einen Kugelschreiber in die Hand genommen hatte und vermutlich zukünftig auch nie tun würde. Solche Typen verärgerten Gillis Jensen. Unentwegt musste er tief einatmen, um einen Wutausbruch zu verhindern.
Und jetzt dieser Karl Wallin. Schien aber etwas ängstlicher zu sein. Wallin erzählte, er wohne in der Östra Vallgatan, und zwar allein in einer kleinen Zweizimmerwohnung im Hinterhaus, die ihm gut gefalle. Er habe das Grundstudium in Medizin hinter sich und absolviere nun sein praktisches Jahr mit dem Ziel, Internist zu werden. Die Ausbildung zum Facharzt habe er gerade angefangen. Er habe nur noch Zeit für Diabetes. Diese Krankheit, die sich in modernen Wohlfahrtsgesellschaften immer mehr ausbreitete, war sein Forschungsgebiet und offenbar auch sein großes Interesse.
Klingt lukrativ, dachte Gillis Jensen nüchtern.
Karl Wallin sprach ruhig und gelassen. Vermutlich war er es gewohnt zu reden, ohne dass ihn jemand unterbrach.
»Ich bin im Augenblick von der Inneren beurlaubt, um meine Doktorarbeit fertig zu schreiben. Die Disputation ist irgendwann nächsten Herbst, wenn alles nach Plan läuft. Im Augenblick wüsste ich auch nicht, was dem im Wege stehen sollte.«
Er trägt mir seinen Lebenslauf vor, dachte Gillis Jensen und versuchte zu folgen, aber diese ständigen Großtaten ermüdeten ihn nur.
Den größten Teil seiner Zeit brachte also Karl Wallin in einem Labor oder am Computer zu. Er behauptete, sich den Tag selbst einteilen zu können, es sei ihm jedoch wichtig, keine Zeit zu vergeuden. Er wolle fertig werden. Es sei nicht leicht, Forschungsmittel zu bekommen, man könne es sich also nicht leisten zu trödeln. Er wohne also, abgesehen von kurzen Ausflügen in die Gerdahalle, mehr oder minder im Labor. Das Training sei eine Unterbrechung, die er gut gebrauchen könne und die seine Leistungsfähigkeit als Forscher eher noch erhöhe, fand er.
Als zöge man sich ein Büßerhemd über, dachte Gillis Jensen. In einer Turnhalle schwitzen, statt mit einem Hund in der Natur herumzutollen.
Aber er ließ sich von der Munterkeit des Mannes anstecken und davon, dass dieser alles andere als ein Jammerlappen war. Hier hatte er einen, der resolut die Ärmel hochkrempelte und zupackte. So weit das Auge reichte, gab es keine Hindernisse. So lautete vermutlich das Erfolgsrezept.
Traf das etwa auch auf
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