Verdacht auf Mord
gegangen?«
»Ja.«
Hier gilt es, sich die Zeiten zu notieren, dachte Jensen. Diese Art von Arbeit gefiel ihm. Er saß gerne in seinem Büro und legte Schaubilder darüber an, wer sich wann wo befunden hatte.
»Was glauben Sie, ist passiert?«
»Keine Ahnung.«
Gillis Jensen schwieg. Er betrachtete Karl Wallin durchdringend von der Seite, bis dieser den Blick senkte.
»Was soll man glauben?« Unglücklich zuckte Wallin mit den Schultern.
»Sie haben also Emmy Höglund seit Montagabend voriger Woche nicht mehr getroffen oder gesehen. Stimmt das?«, fasste Jensen zusammen.
»Genau.«
»Sie wissen also nicht, wie sie den Dienstag verbrachte?«
Er schüttelte den Kopf.
»Sie rief Dienstagabend um neunzehn Uhr vierundzwanzig auf Ihrem Handy an.«
Er erbleichte.
»Das habe ich gesehen«, sagte er mit gepresster Stimme.
»Sie sind aber nicht drangegangen.«
»Nein.«
Gillis Jensen wartete. In der Stille hörte er seinen Magen knurren. Allmählich wurde er hungrig.
»Ich hatte den Klingelton meines Handys den ganzen Abend ausgeschaltet«, sagte Wallin. »Ich war mit einem heiklen Versuch beschäftigt und wollte mich nicht stören lassen. Ich war bis etwa halb zwölf im Labor.«
»War außer Ihnen noch jemand dort?«
Er schüttelte den Kopf.
»Nein. Ich war allein.«
»Was haben Sie nach halb zwölf gemacht?«
»Ich bin mit dem Fahrrad nach Hause gefahren und ins Bett gefallen. Der Klingelton war bis zum nächsten Morgen abgestellt. Da erst ist es mir aufgefallen, dass sie angerufen hatte.«
»Haben Sie zurückgerufen?«
»Nein.«
»Was könnte sie von Ihnen gewollt haben?«
Eine lange Pause entstand.
»Weiß nicht. Einfach nur reden.«
»Worüber?«
»Irgendwas. Vielleicht wollte sie sich mit mir verabreden, das kam gelegentlich vor.«
»Und?«
»Wenn es sich zeitlich einrichten ließ, dann trafen wir uns, aber meistens hatte ich keine Zeit.«
»Aber sie hatte Zeit?«
Er zuckte mit den Achseln.
»Ich hatte den Eindruck, dass Emmy Höglund eine viel beschäftigte und ehrgeizige Studentin war«, meinte Jensen.
»Natürlich! Aber auch sie hatte ihre Prioritäten.«
»Wie meinen Sie das?«
»Tja …«
Kriminalinspektor Jensen sah Karl Wallin lange an, und dieser wirkte zum ersten Mal nicht ganz unbekümmert.
»Es geht doch wohl nicht nur um Zeit«, meinte er. »Worum geht es denn dann?«
Karl Wallin verzog den Mund und breitete die Arme aus: »Keine Ahnung!«
Jensen quälte ihn einen Moment mit seiner ernsten, verschlossenen Miene. Die Sekunden vergingen. Schließlich hielt es Karl Wallin nicht länger aus.
»Wir waren nicht zusammen. Wir waren nur befreundet«, betonte er, und Gillis Jensen sah ein, dass er sich einfach nicht gut genug auskannte. Er war zu alt. Seine jüngeren Kollegen hätten sein Gegenüber vermutlich besser verstanden. Waren sie wirklich nur befreundet gewesen? Hatten sie vielleicht etwas gegeneinander in der Hand?
Karl Wallin räusperte sich.
»Unangenehm. Ich habe fast den Eindruck, dass Sie mir nicht glauben.«
Um vier Uhr glich Lars-Åke Mårtenssons Ermittlerteam seine Listen ab und strich die Zeugen, die man erreicht hatte. Mårtensson stand in regelmäßigem Kontakt mit dem Staatsanwalt und Leiter der Voruntersuchung, Christer Petterson.
»Wie immer, wenn es um junge Leute in diesem Alter geht, breiten sich die Kreise, in denen sie sich bewegt haben, weiter aus und überschneiden sich«, meinte Mårtensson ungehalten.
»Junge Leute, ich weiß nicht«, meinte ein unauffälliger Polizist namens Swärd. »Sie wirkten recht etabliert.«
»Mit Karl Wallin bin ich fertig, ich muss das Protokoll nur noch ausdrucken«, meinte Jensen und deutete auf die Liste, die Mårtensson in der Hand hielt.
»Wie war er?«
»So einer, den sich jede Mutter als Schwiegersohn wünscht. Besaß aber kein Alibi für die Nacht zwischen Mittwoch und Donnerstag voriger Woche. Er erbot sich aus freien Stücken, eine Speichelprobe für einen DNA-Test zu liefern. Das ist also auch erledigt.«
»Dann kann er es nicht sein«, stellte Mårtensson fest.
»Abwarten«, widersprach ihm Jensen. »Mir ist es aber noch nicht gelungen, diesen Stjärne aufzutreiben. Er arbeitet vermutlich recht viel. Vielleicht hatte er ja in der Tatnacht Dienst.«
»Versuch es einfach noch einmal!«
Mårtensson klang genauso munter wie immer, obwohl sich der Arbeitstag seinem Ende näherte. Das konnte recht ermüdend sein. Jensen würdigte ihn kaum eines Blickes.
»Ich habe mich noch einmal mit
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