Verdacht auf Mord
vor. Sie können mit George Johansson darüber sprechen.«
Claesson nickte. Das hatte er bereits getan.
»Und dann?«
»Aussage stand gegen Aussage. Ein Gerücht besagte, Melinda habe für ihren Lehrer geschwärmt. Das wäre ja nichts Ungewöhnliches«, stellte Kerstin Malm fest und zog mit einer energischen Bewegung den Kragen ihrer Kostümjacke über ihrem Busen glatt. Ihre Bluse war blassrosa und hob sich effektvoll von ihrem mahagoniroten Haar ab.
»Es gibt immer Ärger, wenn so etwas ans Licht kommt. Niemand will sich wirklich damit auseinandersetzen.«
»Was ergab sich?«, wollte Claesson wissen.
»Nichts.«
»Überhaupt nichts?«
»Möglicherweise machte Melinda Selander doch mehr durch, als wir ahnten. Sie war schließlich gezwungen, die Klasse zu wechseln, und das ist eine große Sache. Ich erinnere mich nicht, ob das auf Wunsch der Eltern geschah. Es spielt auch keine Rolle, sie muss ziemlichen Belastungen ausgesetzt gewesen sein. Ich denke mir, dass man, wenn man jemanden der sexuellen Nötigung bezichtigt, ziemlich unter Druck gerät. Hätte ich eine Tochter, würde ich ihr von einer Anzeige abraten«, meinte sie und errötete stark, als Claesson sie eindringlich ansah. »Ich meine, alles was nachher kommt, Verhöre, die Männer bei Gericht, die einen infrage stellen, das ist schlimmer als das Eigentliche …«
Sie schlug den Blick nieder. Claesson zählte bis zehn. Einerseits konnte er sie verstehen, vielleicht stimmte er ihr sogar zu, jedenfalls so wie die Rechtslage aussah, inkompetente und unsensible Polizisten und konservative Richter, aber auf diese Diskussion wollte er sich jetzt nicht einlassen. Außerdem arbeiteten sie an einer Verbesserung, auch wenn sich diese nur langsam vollzog.
»Hat Bodén anderen Schülerinnen Avancen gemacht?«, wollte er wissen.
Sie spitzte ihre weinroten Lippen. Der Lippenstift war teils verschwunden, teils verwischt.
»Nichts, was sich belegen ließ. Es waren alles nur Gerüchte. Das Gefährliche ist, dass diese gänzlich aus der Luft gegriffen sein können. Manchmal gibt es durchaus Rauch ohne Flammen, oder die Leute machen aus einer Mücke einen Elefanten. Glauben Sie mir!«
Claesson glaubte ihr. Auch dieses Mal faszinierten ihn die Federn an Kerstin Malms Ohrläppchen, die hin und her schwankten, wenn sie sprach. Zweifellos eine stattliche Dame.
»Gab es auch noch in letzter Zeit Gerede?«
»Mir ist während der letzten Jahre nichts zu Ohren gekommen. Bodén fiel als Lehrer nicht weiter auf. Er setzte sich auch auf keinem Gebiet sonderlich ein. Hielt seinen Unterricht. Weder besonders gut noch besonders schlecht.«
Peter Berg betrachtete das Klassenfoto. Melinda Selanders lange, schmale Gestalt, ihre etwas altmodische Kleidung und ihr feierlicher Ernst. Sie stand ganz vorne. Er kannte diese Art Mädchen aus dem Ort, aus dem er stammte. Ein langer beigefarbener Rock aus einem dünnen Stoff, der vermutlich flatterte, wenn sie ging. Vielleicht mit Stickereien unten am Saum, irgendwas Indisches. Vielleicht auch etwas durchsichtig. Verführerisch, aber gleichzeitig auch brav. Hübsche Stiefel aus braunem Leder. Dazu eine dunkelrote Bluse mit langen, weiten Ärmeln, kleiner Ausschnitt. Um den Hals trug sie ein Band, vielleicht auch eine Halskette, die der von Maja Gräddnos aus dem Kinderbuch ähnlich war. Sie erinnerte ihn an ein Mädchen von Zuhause, mit dem man ihn hatte verkuppeln wollen. Und sie war wirklich nicht so harmlos gewesen, wie sie ausgesehen hatte, sondern ausgesprochen leidenschaftlich. Er wäre fast nicht mehr losgekommen.
Vielleicht war das bei dieser seriösen jungen Dame ja genauso. Superfleißig. Ihre Überlegenheit war ihr anzusehen. Schleimte sich sicher auch bei den Lehrern ein. Den Neid auf die richtig Schlauen wurde er nicht mehr los. Auf die, denen alles gelang, ohne dass sie sich auch nur im Mindesten anzustrengen schienen.
»War sie auch Ihre Schülerin?«, fragte er Kerstin Malm, deren Röte sich noch nicht gelegt hatte.
»Nein. Aber ich glaube, wenn mich mein Gedächtnis nicht ganz im Stich lässt, dass sie sehr intelligent war. Der stille, begabte Typ. Einserkandidatin, ganz einfach«, meinte sie und machte sich daran, ihre Abiturnoten herauszusuchen. »Mein Gedächtnis hat mich nicht getrogen. Fast lauter Einsen, ein paar vereinzelte Zweien.«
Sie beugten sich über ihre Schulter und betrachteten das Zeugnis.
»Sie ist mittlerweile Ärztin«, meinte Claesson.
Kerstin Malm nickte.
»Schön, dass sie es so weit
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