Verdacht auf Mord
wir dich auch in Lund auf der Station besucht haben?«
Sie dachte angestrengt nach, verlor dann aber plötzlich den Faden. Woran hatte sie sich noch gleich erinnern sollen?
»Bitte?«
»Ich habe dich dort mehrere Male auf der Station besucht. Erinnerst du dich?«
»Vielleicht«, sagte sie tonlos.
Aber sie erinnerte sich an überhaupt nichts. Es störte sie, kein richtiges Gedächtnis zu haben. Ihr Unbehagen nahm überdies zu, wenn alle diese Leute in ihr Zimmer kamen und ihr von allem Möglichen erzählten, während in ihr nur Leere herrschte. Sie fühlte sich wie ausgehöhlt. Das erfüllte sie mit einem Entsetzen vor sich selbst.
Hatte sie Dinge gesagt und getan, an die sie sich nicht erinnern konnte und für die sie sich schämen musste? Alle wussten offenbar Dinge über sie, von denen sie keine Ahnung hatte.
Was wollte sie Karl eigentlich sagen? Sie wagte kaum, ihn anzusehen.
»Erinnerst du dich an die Party bei Ester?«, fragte Karl und sah, dass sie plötzlich etwas unstet wirkte.
»Ja, daran erinnere ich mich.« Sie hörte ihn schlucken und fand, dass sein Blick unsicher wurde.
»Kannst du dich erinnern, wie wir auf dem Sofa saßen?« Er lachte, sah aber nicht mehr fröhlich aus.
Sie starrte leer vor sich hin.
»Nein. Hatten wir unseren Spaß?«, wollte sie wissen und sah ihn an.
»Es spielt absolut keine Rolle, falls du dich nicht daran erinnern kannst!«, meinte er. »Ich freue mich nur, dass es so gut gelaufen ist.«
Das hatte sie jetzt auch schon oft gehört. Es ist so gut gelaufen. Schwein gehabt. Und dass sie so tüchtig sei. Aber sie selbst hatte nichts dazu beigetragen. Sie trug rein gar nichts bei. Alles spielte sich ohne ihr Zutun ab. Und es war doch wohl wirklich nicht glimpflich, niedergeschlagen worden zu sein, sondern eine verdammte Scheiße! Es war die Hölle. Aber das erwähnte niemand. Alle redeten, als sei sie eine zerbrechliche Porzellanpuppe.
»Du bist etwas ganz Besonderes. Bald wirst du wieder wie früher.«
Das Lächeln keck. Er meinte wirklich, was er da sagte. Aber sie fühlte sich kleiner werden und hatte einen Kloß im Bauch.
Wie früher zu sein, wie war das? Durfte sie nicht so wie jetzt sein?
Er sah sie an.
»Bist du traurig?«
»Nein.«
Aber die Tränen strömten dann doch. Karl erhob sich und nahm sie in die Arme. Sie zuckte erst zusammen, wollte ihren Körper für sich haben. Aber dann atmete sie den Geruch seines Pullovers ein. Hatte ihre Nase an seinem Hals. Es roch nach einem Gewürz in einem Eintopf. Nicht Lorbeer, nicht Gewürznelken. Sie wusste nicht recht, welches es war. Aber sie kannte diesen Duft. Ihr wurde warm, sie entspannte sich, und er tätschelte ihr vorsichtig den Kopf.
»Wie ein Pferdemaul«, scherzte er.
Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Worte zu finden, war am schwersten. Aber es ging mit jedem Tag besser. Das behaupteten jedenfalls die Schwestern. Sie zwangen sie durchzuhalten. Sie war wieder ein Kind geworden. Sie wollte bei Karl sitzen bleiben wie auf dem Schoß ihrer Mutter. Geborgen und warm. Und noch mehr.
Vielleicht hatten sie einige Minuten so dagesessen. Sie konnte es nicht beurteilen.
»Willst du rausgehen?«, flüsterte er ihr ins Ohr.
Hatte sie die Kraft dazu? Hatte sie die Kraft zu gehen? Sie schaute über seine Schulter auf den Rollstuhl.
»Ich schiebe dich«, meinte er liebevoll und ließ sie los. Strich mit seinen Fingern über ihr kurz geschnittenes Haar, die Wange hinunter, über ihre Lippen. Das kitzelte. Sie lachte. Das klang merkwürdig. Sie hörte es selbst.
»Ich kann gehen«, sagte sie.
»Das weiß ich.«
»Aber vielleicht schwanke ich oder ermüde.«
»Wir können den Rollstuhl ja mitnehmen. Es ist so ein schöner Tag draußen.«
Sie verließen die Station. Er schob sie im Rollstuhl den hellgrünen Korridor entlang.
»War Trissan eigentlich schon mal hier?«, fragte er im Aufzug.
Schon wieder diese Fragen! Sie hasste Fragen.
Ob Trissan sie besucht hatte? Wer war schon wieder Trissan?
Sie brachte ihre Freunde durcheinander. Wie war das jetzt wieder? Es waren zwei gewesen. Trissan und …
»Doch«, sagte sie, denn jetzt erinnerte sie sich genau. »Emmy war hier«, sagte sie stolz.
Karl sah sie ganz merkwürdig an. Dann packte er den Rollstuhl und schob sie durch die Tür.
Claes Claesson schloss die Haustür ab. Veronika schnallte Klara im Kindersitz an und spürte, dass es ihr den Magen umdrehte, als sie sich vorbeugte. Fast hätte sie sich übergeben müssen. Verdammte Übelkeit! Sie
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