Verdacht auf Mord
erstreckte sich bis zur Neurochirurgie in Lund und bis zur naiven Hoffnung, dass es dort nur komplette Systeme, effektive Routinen und durch und durch solides Fachwissen geben würde. Keine Anfänger oder Schussel und keine unausgereiften Strukturen, die die Sicherheit der Patienten gefährdeten.
Aber Menschen waren Menschen und hatten meist gute Vorsätze, aber das reichte nicht immer aus. Bisher waren ihr an Cecilias Krankenlager Kompetenz und Wohlwollen begegnet. Bemühtheit und Gewissenhaftigkeit. Allerdings auch ärgerliche Unbeholfenheit, von der sie lieber absehen wollte.
Ihre eigene Angst machte ihr zu schaffen. Mit ihrem Medizinstudium sah sie mehr als die meisten anderen, versuchte aber, eine so harmlose Angehörige zu sein wie möglich, die Pflege nicht zu stören und die Therapie nicht zu kritisieren.
Sie wollte schließlich nichts anderes, als dass alles wieder gut würde. Nicht auf sie sollte sich das Pflegepersonal konzentrieren, sondern auf Cecilia.
Bei ihrer Tochter war alles in Ordnung gewesen, als sie sie verlassen hatte. Ihr Blick war weniger diffus gewesen. Sie hatte auf Aufforderungen reagiert, ihre Augen geöffnet und wieder geschlossen und ihr die Hand gedrückt. Die dunkelhaarige Schwester, die Veronika so mochte, fand, dass sie große Fortschritte mache. Bald würden sie das Atemgerät abschalten. Cecilia hatte begonnen, selbstständig zu atmen, und löste es mit ihrer Spontanatmung aus. Der Druck in ihrem Kopf war stabil.
Es war ihr nicht leichtgefallen, sie allein zu lassen und nach Hause nach Oskarshamn zu fahren. Dan war jedoch auch dieses Wochenende aus Stockholm angereist. Er hatte selbst darum gebeten, Cecilia wieder besuchen zu dürfen. Als hätte sie es so geplant. Schließlich war Cecilia auch seine Tochter, obwohl weder Cecilia noch sie bisher sonderlich viel davon gemerkt hatten, dachte sie missmutig. Einen losen Kontakt hatte er in den Jahren ihrer Kindheit und Jugend immerhin aufrechterhalten.
Claes war, als sie am Vorabend spät gegessen hatten, sehr vorsichtig gewesen und hatte nur nette Sachen gesagt. Er hatte erzählt, das Eingewöhnen in den Kindergarten funktioniere. Klara komme bereits gut zurecht. Genau das hatte sie hören wollen.
»Willst du noch eine Tasse Kaffee?«
Er hielt die Thermoskanne in der Hand.
»Nein, danke.«
»Sicher?«
»Mir ist etwas schlecht.«
»Dann iss noch ein Brot.«
Sie nahm eine Scheibe Graubrot und strich Butter darauf.
»Schön, wieder zu Hause zu sein«, meinte sie, streckte die Hand über den Tisch und strich ihm über die Wange, zog die Hand aber rasch wieder zurück.
»Unrasiert?«
»Sehr«, sagte sie und sah ihm tief in seine grün schimmernden Augen.
»Besorgt?«
»Ja«, antwortete sie. »Aber es lässt sich aushalten.«
Er strich ihr durchs Haar.
»Hast du was aus Lund gehört?«, wollte sie wissen, obwohl ihr im Grunde klar war, dass diese Frage unsinnig war. Sie würden den Täter nicht finden.
»Ja, das habe ich«, erwiderte er, »aber nicht in dieser Sache.«
Das Licht schoss in ihre Pupillen und explodierte im Kopf. Sie wehrte sich, schloss die Augen, so schnell sie konnte, und versuchte gleichzeitig, das Gesicht zu verziehen. Aber das war fast unmöglich. Langsam ließ sie sich wieder in den Brunnen sinken. In die barmherzige Leere.
Schwer und körperlos ruhte sie im Nebel. Wie Blei. Nicht wie ein flatternder Zitronenfalter an einem Hochsommertag. Nicht wie ein Engel durchs All schwebend. Gefesselt. Irgendwo, woran, war unsicher.
Wo war sie? Wer war sie?
Baumelnd, schwebend, durchs All.
Wieder diese Zuckungen, und in schwindelndem Tempo wurde sie aus dem Dunkel gerissen. Ihr Hals schmerzte. Sie hatte einen schlechten Geschmack in ihrem trockenen Mund. Sie wollte schlucken, etwas Kaltes herablaufen spüren. Versuchte es. Nein, das wollte sie nicht, denn es ging nicht.
Schnell sank sie wieder.
Irgendwo spürte sie ein Kitzeln. Aber wo? Und Geräusche. Worte. Eine Stimme, warm und bestimmt.
Es kitzelte weiter, wie der Marsch einer Fliege über warme Haut. Sie wollte, dass es aufhörte. Aber das ging nicht. Schwer, stumm und unbeweglich lag sie da.
Wo war das eigentlich? Auf der Hand vielleicht. Nicht schmerzhaft, aber nervig. Nehmt das weg! Sie wollte das herausschreien, aber das ging nicht. Wollte sich kratzen, aber auch das ging nicht.
Dann war es weg. Die Ruhe trat wieder ein. Zufrieden konnte sie sich wieder ins Nichts treiben lassen.
Aber dann war es wieder da. Das Ziepen. Das Kitzeln.
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