Verdacht auf Mord
Beharrlich, aber weit weg von ihr. Etwas hebt sich. Schwer und träge. Die Hand. Sie sitzt da. Die Fliege.
Sie zieht mit Mühe die Lider hoch. Weißes Licht. Stark und rücksichtslos. Geruch von Plastik. Aber auch von Mensch. Und warme Haut. Streichelt, berührt sie, die ganze Zeit. Einzelne Worte treten aus dem Chaos hervor und ergeben langsam einen Sinn.
»Liebe Cecilia!«
Der Klopfer schlug gegen die Haustür. Nina Bodén fuhr vom Sofa hoch und betrachtete sich im Spiegel in der Diele. Keine Tränen. Nur etwas geschwollen unter den Augen. Sie strich ihren dunkelblauen Pullover glatt und machte auf.
Jetzt kommt sie also, dachte sie und sah Eva-Lena durchdringend an, die mit drei Lilien in der Hand auf der Treppe stand. Die Blumen wirkten, als wären sie bereits welk. Bernt war nicht dabei. Und das war auch gut so. Die Sonne fiel auf Eva-Lenas Haar, das rot leuchtete wie das Fell eines Fuchses.
Sie wussten beide nicht, was sie sagen sollten. Am allerwenigsten Eva-Lena, die ihr Beileid hätte aussprechen müssen, aber Kondolieren war nicht ihre starke Seite. Nicht nach allem. Es wäre natürlicher gewesen, wenn sie schon früher bei ihrer Nachbarin vorbeigeschaut hätte. Sofort. Da hätte sie keine Worte gebraucht. Da hätte es genügt, wenn sie so gewesen wäre wie immer.
Aber jetzt war es eben so, wie es war.
»Komm rein«, sagte Nina schließlich.
In diesem Augenblick überreichte ihr Eva-Lena endlich die Blumen. Beerdigungsblumen, dachte Nina, dankte trotzdem und stellte die Lilien in eine dunkelgrüne Orrefors-Vase, ein Geschenk zu ihrem Fünfzigsten. Die Vase war sehr schön. Auch die Blumen wirkten jetzt weniger welk.
Die beiden Nachbarinnen gingen in die Küche. Ob sie Lust auf Kaffee hatten, spielte keine Rolle, denn jetzt schrieb die Etikette Kaffeetrinken vor. Was hätten sie auch sonst tun sollen?
»Ich konnte nicht früher kommen«, brach Eva-Lena das Schweigen. »Du weißt schon, Bernt …«
Sie unterbrach sich. Nein, das war wirklich nicht die richtige Gelegenheit, um über Bernt zu sprechen, diesen Stoffel, der in den letzten Jahren so viel Platz in ihren Gesprächen eingenommen hatte. Nicht einmal einen frischen blauen Fleck hatte sie, den sie Nina hätte zeigen können, die Krankenschwester war. Es war auch recht lange her, dass Eva-Lena bemerkt hatte, dass Nina ihre Blessuren immer uninteressierter betrachtet hatte. Es geschieht ja doch nichts, schien sie zu denken. Eva-Lena ließ sich verprügeln und ging doch nie zur Polizei, obwohl Nina sie unzählige Male dazu aufgefordert hatte. Das sei unakzeptabel, hatte sie gesagt. Kränkend. Er übt Macht über dein Leben aus und kontrolliert es! Eva-Lena wusste, dass sie immer mit neuen Ausflüchten kam. Es wurde Sommer, und sie wollten in ihr Sommerhaus. Im Winter wollten sie Ski fahren. Und ohne Bernt, allein, hätte Eva-Lena all das nicht tun können, da sie gar nicht das Geld hatte, aber das sagte sie natürlich nie unumwunden, das hätte zu materialistisch gewirkt. Sie hatte jedoch das Gefühl, dass Nina das ohnehin wusste. Und vielleicht sogar Jan, obwohl es ihm eher gleichgültig gewesen war. Er hatte zumindest nichts gesagt. Nur sie war ihm wichtig gewesen. Wenn sie erst einmal unterwegs waren, dann war Bernt auch immer so süß, wie man es sich nur vorstellen konnte. Aber das erzählte sie nie. Doch, Nina schon, aber Jan hatte sie es nie erzählt.
Sie hatte natürlich Träume. Verbotene Träume. Von denen erzählte sie auch nichts. Wenn sie Glück hatte, dann würde sich die Wirklichkeit viel eleganter ändern als durch eine Scheidung. Jeden Tag hatte sie sich in ihrer Hilflosigkeit an diesem süßen Traum festgeklammert. Bernt könnte einen Unfall bauen. Besoffen gegen einen Baum fahren. Und dann würde alles natürlich ganz anders werden.
Sie schaute aus dem Küchenfenster. Auf der Fensterbank stand ein Foto von Jan. Fast kamen ihr die Tränen. Das Foto war neu. Es hatte früher nicht dort gestanden. Er war braun gebrannt, und der Wind fuhr ihm durch sein gelichtetes Haar. Das musste Gotland sein. Meer und hellblauer Himmel mit weißen Wolken. Ein Foto, das Nina im Sommer aufgenommen hatte.
»Wie geht es dir?«, wollte sie vorsichtig wissen und nagte dann an ihrer Unterlippe.
Sie hatte einen Kloß im Hals. Jan wirkte auf diesem Bild so unendlich gesund und entzückend. Im Halbprofil war er sehr stattlich. Er hielt den Kopf etwas gesenkt. Sein Oberkörper war nackt. Das Bild endete in Brusthöhe. Seine warme Brust. Ihr salziger
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