Verdächtige Geliebte: Roman (German Edition)
doch gerade diesen Mord mit dem Stalker aufgeklärt. Ab und zu muss man es auch ein bisschen ruhig angehen.« Kusanagi griff nach seinem schmuddligen Kaffeebecher. Der Instantkaffee, den Yukawa ihm bei seiner Ankunft serviert hatte, war inzwischen völlig kalt.
Im Moment war außer Yukawa und Kusanagi niemand im Labor 13 des Fachbereichs Physik an der Kaiserlichen Universität. Die Studenten saßen in ihren Seminaren. Natürlich hatte Kusanagi deshalb diesen Zeitpunkt für seinen Besuch gewählt.
Das Mobiltelefon in seiner Tasche klingelte. Yukawa schlüpfte in seinen weißen Kittel und grinste. »Na, das ging ja schnell.«
Missmutig blickte Kusanagi auf das Display. Yukawa hatte recht. Der Anruf kam von einem jüngeren Beamten aus seiner Abteilung.
Der Tatort befand sich an der Uferböschung des Alten Edogawa, in der Nähe einer Kläranlage. Direkt gegenüber lag die Präfektur Chiba. Hätte der Mörder die Leiche nicht dort ablegen können, dachte Kusanagi und stellte seinen Kragen hoch.
Der Tote lag oben an der Böschung und war in eine blaue Plastikplane gewickelt, die wahrscheinlich von einem Fabrikgelände stammte.
Gefunden hatte ihn ein älterer Jogger, der einen menschlichen Fuß unter der Plane hervorragen sah und sie anhob.
»Der Mann ist fünfundsiebzig. Und rennt noch bei dieser Kälte draußen rum. Alle Achtung. Er hat bestimmt nicht damit gerechnet, in seinem Alter noch einen so grausigen Fund zu machen. Er hat mein volles Mitgefühl.«
Kishitani, der junge Beamte, war als Erster am Tatort eingetroffen und klärte Kusanagi über die näheren Umstände auf. Kusanagi runzelte die Stirn, der Saum seines Mantels flatterte.
»Du hast also die Leiche gesehen, Kishi?«
»Ja«, antwortete dieser und verzog das Gesicht. »Der Chef wollte, dass ich sie mir genau ansehe.«
»Weil er selbst keine Lust dazu hatte.«
»Wollen Sie auch mal einen Blick darauf werfen, Kusanagi?«
»Nein, das bringt auch nichts.«
Kishitani zufolge war die Leiche in einem beklagenswerten Zustand. Sie war völlig nackt. Das Gesicht war zertrümmert worden und sah aus wie eine aufgeschlagene Melone. Die Formulierung reichte aus, um Unwohlsein bei Kusanagi hervorzurufen. Auch die Finger waren verbrannt, es war unmöglich, Abdrücke von ihnen zu nehmen.
Die Leiche war männlich. Ein Mal um den Hals legte nahe, dass der Mann erwürgt worden war. Sonst wies er keine Verletzungen auf.
»Hoffentlich findet die Rechtsmedizin etwas«, sagte Kusanagi, während er über die Böschung stapfte. Da Leute zusahen, tat er so, als würde er nach Spuren suchen. Doch in Wahrheit überließ er das lieber den Spezialisten. Es war unwahrscheinlich, dass er etwas von Bedeutung entdeckte.
»In der Nähe stand ein Fahrrad. Unsere Leute vom Revier in Edogawa haben es schon abgeholt.
»Ein Fahrrad? Wahrscheinlich hat es jemand einfach hier entsorgt.«
»Dafür ist es zu neu. Und beide Reifen waren platt. Jemand hat sie mit einem Nagel oder so durchstochen.«
»Aha. Vielleicht gehörte es dem Opfer?«
»Kann sein. Es hatte eine Registriernummer, das heißt, wir finden bald heraus, wem es gehört.«
»Hoffentlich dem Opfer«, sagte Kusanagi. »Wenn nicht, wird es sehr kompliziert.«
»Wirklich? Wieso denn?«
»Ist das deine erste nicht-identifizierbare Leiche, Kishi?«
Kishitani nickte.
»Denk doch mal nach. Gesicht und Fingerkuppen wurden zerstört, also will der Mörder die Identität des Opfers verschleiern. Natürlich bedeutet das auch, dass wir, wenn wir herausfinden, wer das Opfer war, seinem Mörder relativ leicht auf die Spur kommen. Unser Schicksal hängt also davon ab, wie lange wir brauchen, um die Identität festzustellen.«
In diesem Moment klingelte Kishitanis Telefon, und er nahm den Anruf entgegen. Nachdem er ein paar Worte gesprochen hatte, wandte er sich Kusanagi zu.
»Sie wollen, dass wir aufs Revier nach Edogawa kommen.«
»Junge, Junge, das ging ja fix.« Kusanagi streckte sich und trommelte sich mit den Fäusten auf den unteren Rücken.
Als sie auf dem Revier ankamen, stand Mamiya am Ofen und wärmte sich die Hände. Mamiya war Abteilungsleiter der Kriminalpolizei. Mehrere Männer – wahrscheinlich von der Kripo in Edogawa – eilten geschäftig herum. Anscheinend waren sie dabei, eine Einsatzzentrale einzurichten.
»Sind Sie mit Ihrem eigenen Wagen gekommen?«, fragte Mamiya mit einem Blick auf Kusanagi.
»Ja, die Bahn wäre zu umständlich gewesen.«
»Das heißt, Sie kennen sich hier aus?«
»Auskennen
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