Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
sie ihn wohl dafür begeistern könnte? Er scheint ihr recht offen und einfühlsam zu sein. Und er ist Deutscher. Da muß er doch eine tiefere Beziehung zur Malerei, zur Musik, zur Literatur haben. Wer weiß, vielleicht schlummert sogar eine versteckte Begabung in ihm? Das wäre wundervoll. Sie könnte seine Muse sein, und er die ihre, in männlicher Gestalt natürlich. Komisch, daß es kein Wort für eine männliche Muse gibt.
Cheltenham, Pittville Park, 8. September 1911, Freitag
Kurz vor halb sieben ist Seiler auf dem Weg zur Paddington Station. Er trägt einen dunkelblauen Sommeranzug, einen der beiden Anzüge, die ihm die Botschaft finanziert hat. Er hat seinen kleineren Handkoffer dabei, der gerade groß genug ist für den zweiten Anzug und ein paar Schuhe. Er will nach Cheltenham, um Vivian zu überraschen. Heute hat er nichts zu tun, auch übers Wochenende voraussichtlich nicht, und sie fehlt ihm. Cheltenham ist nicht aus der Welt, drei Stunden mit dem Zug. An der Paddington angekommen, hält er nach Polizisten und Detektiven Ausschau, sieht jedoch nur ein paar Bobbies, die man ja in jedem Bahnhof erwartet. Kurz vor dem Abfahrtspfiff steigt er in den Frühzug der Great Western Railway über Oxford nach Cheltenham. Während der Fahrt denkt er über seine letzte Begegnung mit Vivian nach.
Es war Samstag, zwei Tage bevor sie ins College mußte. Tagelang vorher hatte er überlegt, wie er es anstellen sollte, sich ihrem Vater vorzustellen. Reimers’ Warnungen, daß er mit der Möglichkeit rechnen solle, von Scotland Yard oder dem Geheimdienst beobachtet zu werden, hatten ihn unsicher gemacht. Und womöglich wurde auch der Petermansche Buchladen überwacht.
In der Nacht zum Samstag hatte es endlich zu regnen begonnen, und als er morgens erwachte, goß es in Strömen. Jetzt oder nie, dachte er während des Frühstücks, bei diesem Wetter würde ein Detektiv, falls denn ein solcher vor dem Laden herumlungerte, irgendwo Unterschlupf suchen, vielleicht in dem Pub an der Ecke. Und er könnte seinen Regenmantel anziehen und sich mit Hut und Schirm einigermaßen unkenntlich machen. Außerdem regnete es derart stark, daß man kaum etwas sehen konnte. Er beendete sein Frühstück, zog im Zimmer den Mantel an, drückte sich den Bowler auf den Kopf und griff nach dem Schirm. Dann eilte er los. Es war kein weiter Weg, durch die Maiden Lane in die St. Martin’s und von dort im Laufschritt zum Laden, ohne links und rechts zu schauen, den Kragen hochgeschlagen und den Schirm vor dem Gesicht. Trotzdem war er klatschnaß, als er den Laden betrat, das Wasser troff nur so an ihm herab. Peterman war da, nahm ihm den Schirm ab, stellte ihn in einen Ständer und bemerkte: » Sie müssen ein begeisterter Leser sein, Sir, wenn Sie sich bei so einem Hundewetter in mein Geschäft bemühen. Oder möchten Sie nur warten, bis es nachläßt? Auch dann sind Sie herzlich willkommen!«
» Besten Dank«, erwiderte Seiler und zog sein Taschentuch aus der Jacke, um sich wenigstens Gesicht und Hände abzutrocknen. Doch das Tuch war ebenfalls nass. Peterman lachte und rief nach hinten: » Vivian! Sei so gut und bring rasch ein Handtuch!«
Sie ist da, dachte Seiler erleichtert. Er nahm den durchweichten Bowler ab und hängte ihn über den Griff seines Schirms, als sie schon hereinkam. Sie lachte, als sie ihn so durchnäßt sah, und reichte ihm das Handtuch.
» Vater«, sagte sie auf deutsch, » das ist Herr Seiler, der mich zu Gatti’s eingeladen hat, du erinnerst dich?«
» Ah! Sieh da! Der junge Herr von der Botschaft!«, sagte Peterman, ebenfalls auf deutsch, und gab ihm die Hand. » Dachte doch, ich habe Sie schon einmal gesehen.«
» Ich bin nur vorübergehend an der Botschaft«, erwiderte Seiler verlegen, » ich werde bald nach Kiel zurückkehren müssen.« Er verbeugte sich und sagte: » Wenn Sie gestatten: Adrian Seiler, Oberleutnant zur See in der kaiserlichen Marine. Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen, daß ich Miss Vivian ausgeführt habe, ohne vorher Ihre Erlaubnis einzuholen, Herr Peterman. Das war wirklich unverzeihlich von mir.«
Währenddessen stand Vivian hinter dem Rücken ihres Vaters und schnitt Grimassen, was ihn ganz aus der Fassung brachte.
Peterman sagte ernst, aber mit freundlichem Blick: » Nun, Sie haben es ja eben wiedergutgemacht. Damit ist für mich der Fall erledigt. Kommen Sie, trinken Sie eine Tasse Tee mit uns.«
Als er gute zwei Stunden später aufbrach, regnete es immer noch, aber nicht mehr so
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