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Verderbnis

Titel: Verderbnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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Übelkeit und Schwäche über sie hinweg.
    Sofort stellte sie die Flasche auf den Sims und setzte sich. Sie atmete schwer, um sich zu stabilisieren, aber ihr Körper war am Ende seiner Widerstandskraft. Die Benzindämpfe und der Gestank von Fäulnis und Angst überwältigten sie. Sie fand gerade noch Zeit, sich auf den Sims zu legen, als ein bitterer Sog durch Brust und Hals heraufstieg und sie mit den Füßen voran nach unten zog, bis alles – jeder Gedanke, jeder Impuls – nur noch ein winziger roter Punkt elektrischer Aktivität im breiigen Zentrum ihres Gehirns war.

67
    U m vier Uhr dreißig blinzelte Charlie Stephenson; er öffnete den Mund und fing an zu schreien. In ihrem Zimmer im vorderen Teil des Hauses regte sich Skye. Sie rieb sich die Augen und tastete schlaftrunken nach Nigel, aber statt seines warmen Körpers fand sie nur ein kaltes Laken. Stöhnend rollte sie sich auf den Rücken und legte den Kopf zurück, um die Ziffern zu sehen, die an die Decke projiziert wurden – 4.32 Uhr. Sie ließ die Hände auf das Gesicht sinken. Halb fünf. Charlies bevorzugte Zeit.
    »O Gott, Charlie.« Sie zog den Morgenmantel an und schob verschlafen die Füße in die Pantoffeln. »O Gott.«
    Sie schlurfte ins Kinderzimmer – ein Zombie, der sich auf das sanfte Licht von Charlies »Pu der Bär«-Lampe zubewegte. Im Kinderzimmer war es dunkel. Und kalt, zu kalt. Das Schiebefenster stand offen. Benommen tappte sie hinüber und schloss es. Sie konnte sich nicht erinnern, es geöffnet zu haben – aber in letzter Zeit hatte sie nichts als Watte im Kopf. Sie blieb stehen, schaute in den mondhellen Durchgang, der an der Seite des Hauses entlangführte, und sah die sauber aufgereihten Mülltonnen. Vor zwei Monaten hatten sie einen Einbruch gehabt. Jemand war durch die Terrassentür im Wohnzimmer eingedrungen, ohne etwas zu stehlen. Aber in gewisser Weise setzte ihr das mehr zu, als wenn alles ausgeräumt worden wäre. Danach hatte Nigel die Fenster im Erdgeschoss mit Schlössern versehen lassen. Aber sie durfte wirklich nicht vergessen, sie zu verschließen.
    In seinem Bettchen kniff Charlie die Augen zusammen, und das Schluchzen ließ seine kleine Brust beben.
    »Oh, du kleiner Schlingel.« Sie lächelte. »Mummy zu wecken.« Sie beugte sich hinunter, legte die Decke um ihn und trug ihn in ihr Zimmer. Die ganze Zeit redete sie murmelnd auf ihn ein: Er werde noch einmal ihr Tod sein, und sie werde ihn daran erinnern, wenn er achtzehn wäre und eine Freundin hätte. Draußen war es windig. Die Bäume vor dem Haus malten seltsame, bewegliche Formen an die Decke, wenn sie sich wiegten und bogen. Die Zugluft, die durch die Fenster drang, bewegte die Gardinen.
    Charlies Windel war trocken; also legte sie ihn auf ein Kissen und stieg schläfrig zu ihm ins Bett. Sie begann, den Still- BH aufzuhaken, aber dann hielt sie inne. Saß aufrecht da, mit weit aufgerissenen Augen, plötzlich hellwach, mit klopfendem Herzen. In dem Durchgang draußen vor Charlies Fenster hatte etwas gescheppert.
    Sie legte einen Finger an die Lippen. »Du bleibst da, Charlie.« Sie stand lautlos auf und schlich barfuß zurück ins Kinderzimmer. Das Fenster klapperte. Sie ging hin, drückte die Stirn an die Scheibe und spähte hinunter in den Durchgang. Der Deckel einer Mülltonne lag auf dem Boden. Der Wind hatte ihn heruntergeweht.
    Sie zog den Vorhang zu, kehrte ins Schlafzimmer zurück und ging wieder ins Bett. Das war das Problem, wenn Nigel nicht da war. Ihre Fantasie lief Amok.
    »Dumme Mummy.« Sie zog Charlie in die Arme, zerrte den BH herunter und legte Charlie an. Dann ließ sie sich zurücksinken und schloss verträumt die Augen. »Dumme alte Mummy und ihre dumme alte Fantasie.«

68
    A ls der Morgen graute, lag Caffery voll bekleidet und zusammengerollt auf vier Stuhlkissen, die er um drei Uhr auf den Boden im Büro geworfen hatte, und schlief. Er träumte einen absurden Traum von Drachen und Löwen. Die Löwen sahen aus wie echte Löwen. Ihre rauen, gelben Zähne troffen von Blut und Speichel. Er roch ihren heißen Atem und konnte die verfilzten Haare ihrer Mähnen sehen. Die Drachen dagegen waren zweidimensionale Kinderdrachen und aus Blech, als trügen sie eine Rüstung. Sie klirrten und rasselten über das Schlachtfeld und trugen wehende Banner. Sie bäumten sich auf und bogen die metallenen Hälse. Sie waren riesengroß und zerquetschten die Löwen, als wären es Ameisen.
    Ab und zu erwachte er halb und tauchte aus den Tiefen des

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