Vereist (German Edition)
auszumachen. Sie interessierte sich nur für den Zustand des Mannes. Ryan beugte sich von ihr weg und wedelte mit der Hand, als wollte er sie verscheuchen.
Als sie mit einem verletzten Gesichtsausdruck zur Gruppe zurückkam, nahm Alex sie am Arm. Dass sie sich die Sache so zu Herzen nahm, tat ihm leid. »Lass ihn erst mal in Ruhe. Kein Mann möchte vor einer Frau eine Schwäche zeigen.«
»Ich weiß. Aber er ist …« Sie schob sich stirnrunzelnd eine Haarsträhne hinters Ohr.
»Er will sicher nur einen Moment allein sein«, sagte Alex. Thomas und Jim aßen äußerlich ungerührt weiter. Sie wollten Ryan ganz offensichtlich nicht zu sehr auf die Pelle rücken. Doch Alex bemerkte den fragenden Blick, den Jim Brynn zuwarf. Brynn zuckte die Schultern, trat ein Stück beiseite und rief nach ihrem Hund.
Kiana sauste bellend zwischen den Bäumen hervor. Unter ihren Pfoten stob der Schnee und bildete hinter ihr eine weiße Wolke. Die Zunge hing ihr aus dem Maul, sie spitzte die Ohren und wedelte mit dem Schwanz. Schon beim Anblick der Hündin fühlte Alex sich etwas besser. Er hatte nie einen Hund besessen, sich aber immer einen gewünscht. Monica hatte Hunde nicht gemocht, und er war beruflich so viel unterwegs gewesen, dass er nicht die nötige Zeit für ein Haustier gehabt hätte.
Brynn brach einen Ast ab, entfernte die Nadeln und warf ihn schwungvoll von der Gruppe weg. Kiana schoss hinterher wie ein grauweißer Blitz.
Brynn hatte einen harten Zug um den Mund. Vermutlich hätte sie mit dem Stock lieber Ryan zur Vernunft gebracht.
»Hey«, krächzte der Kranke. Alle sahen zu ihm hin. Er stand ein Stück entfernt auf der Kuppe und zeigte Richtung Süden den Hang hinunter. »Flugzeug.«
Sie arbeiteten sich über die Felsen zu ihm hin. Ryan war blass und zittrig. Die Hände auf die Oberschenkel gestützt, starrte er die Bergflanke hinab. Tatsächlich. Alex kniff die Augen zusammen. Auf einer kleinen Lichtung konnte er ein Stück weißes Metall mit orangefarbenen Streifen erkennen. Wenn Ryan nicht schlecht geworden wäre, wären sie in südöstlicher Richtung weitergewandert und hätten die Absturzstelle nicht gefunden.
Jim klopfte Ryan auf die Schulter. »Gut gemacht. Lasst uns runtergehen.«
Thomas und Jim holten ihre Rucksäcke; Brynn rührte sich nicht von der Stelle. Alex folgte ihrem Blick zu der Pfütze Erbrochenem zwischen Ryans Füßen.
Sie war rot von frischem Blut.
Wie krank ist Ryan?
Als Brynn das Blut gesehen hatte, war ihr fast das Herz stehengeblieben. Irgendwo in Ryans Verdauungssystem gab es eine akute Blutung. Zunächst dachte sie an ein Magengeschwür. Aber Ryan hatte nie eines erwähnt. Soweit sie wusste, aß er alles, was ihm schmeckte, und so viel er wollte. Er hatte nicht die Essgewohnheiten eines Magenkranken, und er strotzte nur so vor Gesundheit. Fast alle Kalorien, die er zu sich nahm, verbrannte er durch sportliche Aktivitäten. Er rauchte und trank nicht. Und Brynn ging nicht davon aus, dass er massenhaft Ibuprofen oder andere Medikamente einnahm, die seine Magenschleimhaut angriffen.
Sie musste ihn wegen des Magengeschwürs fragen. Das Blut konnte aber auch bedeuten, dass er irgendetwas Falsches gegessen hatte. Vielleicht etwas Giftiges oder etwas unsäglich Scharfes. Aber wie sollte er an vergiftetes Essen geraten sein? Und sicher hätte eres gemerkt, wenn eine Speise so scharf gewesen wäre, dass sie einen solchen Schaden anrichten konnte.
Ryan kämpfte gehen eine Bronchitis, und als sie ihm vorher den Kopf gehalten hatte, hatte seine Stirn geglüht. Vermutlich brütete er eine Grippe aus. Oder er hatte sich eine Magen-DarmSache eingefangen.
Was aber die Blutung nicht erklärte.
Gewisse Magengeschwüre wurden durch Bakterien verursacht. So war es doch? Brynn schnaubte. Eine tolle Krankenschwester war sie. Aber ihre Ausbildung lag schon lang zurück, und sie hatte inzwischen viel mehr Zeit mit Toten verbracht als mit lebendigen Menschen und ihren Gesundheitsproblemen. Ihre Fortbildungsauflagen erfüllte sie in einem Klassenzimmer oder online. Ganz normale Krankenschwestern lernten im täglichen Umgang mit kranken Menschen sehr viel mehr. Eine erfahrene Schwester in einer Notaufnahme konnte vermutlich einen Blick auf Ryan werfen, ihm drei Fragen stellen und hatte eine akkurate Diagnose parat, bevor überhaupt ein Arzt den Raum betrat.
Aber war dieselbe Schwester in der Lage, die Lebertemperatur einer Leiche zu messen?
Bevor sie auf der steilen Bergflanke den ersten Schritt
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