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Verfallen

Titel: Verfallen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef
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setzen?«, fragt er. Es klingt wie ein Vorwurf.
    Zögernd nehme ich ihm gegenüber Platz. Aufrecht, die Knie beisammen. Meine Hände zittern ein wenig. Ich fühle mich unbehaglich in der Gegenwart dieses Mannes. Genauso erging es mir schon bei Blondy. Polizisten machen mich nervös. Auch wenn ich nichts falsch gemacht habe, erschrecke ich immer, wenn ich einen sehe und frage mich fieberhaft, ob ich zu schnell gefahren bin, ob ich meinen Führerschein dabeihabe und die Autopapiere in Ordnung sind. Wahrscheinlich liegt das an den Uniformen oder an der mächtigen Institution, die sie repräsentieren. Oder an beidem.
    Was will dieser Mann hier? Wo er doch so von diesem Mordfall beansprucht wird?
    »Sie wohnen immer noch hier?«, fragt er überflüssigerweise.
    »Ja. Ich hoffe, dass …« Ich schlucke das nervöse Zittern in meiner Stimme hinunter. »Dass meine Freundin morgen oder spätestens am Samstag nach Hause kommt.«
    Er sieht mich unverwandt an. Seine Augen haben eine ungewöhnliche Farbe, zwischen braun und gelb, wie ein Herbstblatt. »Sie haben Kontakt zu ihr gehabt?«
    »Nein.«
    »Woher wissen Sie dann, dass sie morgen oder am Samstag nach Hause kommt?«
    »Ich weiß es nicht, hoffe es aber.«
    Chevalier schnüffelt und wischt sich mit dem Handrücken über die Nase. Er hat heute etwas Grobes an sich. Seine Bewegungen sind kräftig und roh zugleich. Ungehobelt.
    Er schaut an mir vorbei zur Anrichte. »Wie ich sehe, haben Sie meinen Rat befolgt.«
    Zögernd werfe ich einen Blick über die Schulter. Die Augen auf die Pfefferspraydosen geheftet, antworte ich: »Ja. Danke für den Tipp. Ich fühle mich dadurch schon wesentlich sicherer.«
    »Gut.« Er trommelt mit seinen dicken Fingerkuppen auf dem Küchentisch herum. Die Nägel sind abgekaut. »Finden Sie das eigentlich nicht ein bisschen merkwürdig?«
    »Was meinen Sie?«
    »Nun, dass Sie hier wohnen, obwohl Ihre Freundin nichts davon weiß? Finden Sie das nicht ungewöhnlich?«
    Verwirrt runzele ich die Stirn. Ich werde immer nervöser. »Ich verstehe nicht, warum Sie … Sie ist meine beste Freundin.«
    Er zeigt auf seine Brust. »Ich würde mich nicht einfach im Haus meines Freundes einnisten, wenn er nicht da wäre. Das erschiene mir unpassend.«
    »Sie würde nicht wollen, dass ich in einem Hotel wohne.«
    »Wie weit ist Ihre Heimat von hier entfernt?«
    »Tausendvierhundert Kilometer. Ungefähr.«
    »Vierzehn Stunden Fahrt.«
    Ich nicke.
    »Tja. Alles in allem finde ich Ihre Geschichte nach wie vor seltsam, Mademoiselle. Sie nehmen die weite Fahrt hier herunter auf sich, eine Reise von gut vierzehn Stunden, obwohl Sie nicht einmal wissen, ob Ihre Freundin hier ist, um Sie zu empfangen?«
    »Aber genauso ist es.«
    Die Art, wie er mich ansieht, gefällt mir keineswegs. Sein Kollege hat mich mit genau demselben Blick gemustert, als wollte er sagen: Ich glaub dir kein Wort, verlogenes Weib.
    Ich werde aufsässig, denke aber daran, was meine Mutter zu sagen pflegt: Wer sich verteidigt, bekennt sich schuldig.
    »Im Hangar steht ein Motorrad mit niederländischem Kennzeichen.«
    Ich nicke nur.
    »Wie kommt das dorthin?«
    »Was sollen diese ganzen Fragen?«
    »Das ist meine Arbeit. Fragen zu stellen. Und die Antworten zu analysieren. Eins und eins zusammenzuzählen. Mademoiselle Lambrèk, es fällt mir schwer zu glauben, dass Sie keinen Kontakt zu Ihrer Freundin gehabt haben. Ich möchte Ihnen dringend raten, mich nicht anzulügen.«
    »Entschuldigen Sie mal, ich …«
    »Ich glaube, Sie haben etwas zu verbergen.«
    Ich ziehe die Augenbrauen hoch. »Wie bitte?«
    »Du hast doch gehört, was ich gesagt habe!«
    Er duzt mich. Einfach so. In den Niederlanden würde sich niemand darüber wundern, sogar mein Hausarzt spricht mich mit »du« an und umgekehrt. In Frankreich bedeutet es jedoch eine grobe Beleidigung.
    Chevalier steht von seinem Stuhl auf und geht ein paar Schritte ins Wohnzimmer.
    Ich springe auf, eile an ihm vorbei und baue mich mit verschränkten Armen vor ihm auf. Meine Nervosität schlägt allmählich in Zorn um. Ich bin stinksauer. Was bildet dieser Kerl sich eigentlich ein, einfach so hier herumzuschnüffeln?
    Erwins Motorradkombi liegt zusammengefaltet auf einer Treppenstufe, sein Helm zwei Stufen tiefer.
    »Sieh mal einer an«, höre ich Chevalier sagen.
    Über unseren Köpfen hört man gedämpfte Schritte auf den Dielen. Erwin kommt aus der Dusche.
    »Wer ist das da oben?«
    »Das geht Sie gar nichts an. Sie haben nicht das Recht …«
    Mit

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