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Verfallen

Titel: Verfallen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef
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niedlich.«
    »Ist er tot?«
    Ich nicke. »Ja«, antworte ich leise. »Er ist tot.«
    Der Junge presst die Lippen aufeinander. Sein Blick ist wieder in sich gekehrt. Ein selten introvertiertes Kind. Dennoch sucht er Gesellschaft, wenn auch nur bei einer Fremden, einer Ausländerin, von der er nur Schlechtes gehört haben kann.
    Er muss wirklich sehr einsam sein.
    »Du kannst nichts dafür«, sage ich.
    Hinter dem Jungen sehe ich Erwin am Fenster stehen, einen Kaffeebecher in der Hand.
    »Weißt du auch, warum sie mich so ablehnen, dass sie solche Sachen machen? Am Montag war ich bei euch und wollte mit deinem Vater reden, aber er hat mich weggeschickt.«
    Jetzt leuchten seine Augen auf. »Ja, die können euch Ausländer einfach nicht leiden. Mein Vater sagt, ihr würdet hier auftauchen, um alles kaputtzumachen und uns zu bevormunden. Sie sagen, dass Dianne und ihre Freunde schlechte, dumme Leute sind, die nur Schwierigkeiten machen.«
    Freunde? Zahllose Fragen schießen mir durch den Kopf. »Kennst du Freunde von Dianne?«
    »Ab und zu kommt ein Mann hierher. Ich weiß nicht, wie er heißt, aber er ist nicht nett zu mir.«
    »Ein Mann mit kleinen, hellen Augen und ganz kurz geschorenen Haaren?«
    »Ja. Er sieht gemein aus. Er kommt auch aus Holland.«
    Das Herz klopft mir bis zum Hals. »Und wer sonst noch? Welche Freunde kennst du außer ihm?«
    Er zuckt mit den Schultern. »Ich weiß nicht, wer sie sind. Wenn hier fremde Autos stehen, gehe ich meistens weiter. Ich darf ja eigentlich gar nicht herkommen.«
    »Haben die Autos französische oder niederländische Nummernschilder?«
    Die Haustür wird geöffnet, und Erwin erscheint auf der Schwelle, die Kaffeetasse noch in der Hand. Wie er so dasteht, gleicht er aufs Haar einem alten Römer, mit seinen dicken Haaren und der langen, kräftigen Nase, die fast ohne Einbuchtung an der Wurzel in seine Stirn übergeht.
    Wie konnte ich ihn nur als »ziemlich attraktiv« beschreiben?
    Er ist einfach unwiderstehlich!
    »Das ist mein Freund«, erkläre ich und stehe auf. »Er ist sehr nett.«
    Daniel reagiert nicht. Zerstreut blicke ich auf die Stelle, wo er gerade noch gestanden hat.
    Er ist weg.
    »Daniel? Du brauchst keine Angst zu haben!«
    Diesmal antwortet er nicht. Mit hochgezogenen Schultern trabt er in Richtung Wald davon. Betreten schaue ich ihm hinterher.
    Erwin gesellt sich zu mir. »Das ist schon nicht mehr schüchtern, das ist menschenscheu.«
    Ich sage nichts.
    »Tut mir leid, Eef. Ich konnte ja nicht ahnen, dass es so schlimm ist.«
    »Der Nachbar hat die Katze umgebracht«, sage ich, während Daniel immer kleiner wird, ein grüner Fleck auf dem graubraunen Feld. »Daniel hat gehört, wie er mit seinen Freunden darüber geredet hat. Die waren das auch mit der Tür.«
    »Der Nachbar ist doch sein Vater?«
    »Ja. Régis Beau heißt er. Dieser dreckige Tiermörder! Das muss ich der Polizei melden.«
    »Warum?«
    »Weil der Kerl für das bestraft werden muss, was er getan hat!«
    »Die Polizei verlangt Beweise. Hast du welche?«
    »Wozu brauche ich Beweise? Der Junge hat es doch mit eigenen Ohren gehört?«
    »Aber du kannst doch von dem Jungen nicht verlangen, dass er gegen seinen eigenen Vater aussagt. Überleg doch mal. Wenn der wirklich ein so brutaler Kerl ist …«
    Erwin hat recht. Meine Anzeige könnte Daniel in große Schwierigkeiten bringen. Ich presse die Lippen aufeinander.
    »Und noch etwas«, fährt Erwin fort. »Meinst du, Dianne wäre glücklich darüber, wenn du in ihrer Abwesenheit ihren Nachbarn anzeigen würdest? Das geht zu weit!«
    In hilflosem Zorn stampfe ich auf den Boden. »Verdammt. Verdammt!«
    »Sieh es doch mal von der positiven Seite: Zumindest weißt du jetzt, woher der Wind weht.«
    »Ich finde trotzdem, dass er nicht straflos davonkommen sollte.«
    »Ganz deiner Meinung. Aber es ist nicht an dir oder mir, darüber zu entscheiden, sondern an Dianne.«
    »Weißt du, was Daniel noch gesagt hat? Dass er Hugo regelmäßig hier gesehen hat.«
    »Also war es tatsächlich nicht so abwegig, dass du ihm in der Stadt begegnet bist. Die beiden sind garantiert gemeinsam unterwegs, vielleicht zu Besuch bei Freunden. Jetzt ist schon Donnerstag. Du wirst sehen, dass sie am Samstag ganz normal nach Hause kommt und du dir die ganze Zeit umsonst Sorgen gemacht hast.«
    Ich würde Erwin gerne glauben, aber es gelingt mir nicht. Noch immer habe ich das Gefühl, dass hier irgendetwas ganz und gar nicht stimmt. Warum hat Hugo so merkwürdig reagiert? Er hat

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