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Verfallen

Titel: Verfallen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef
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der Jacken hochgezogen bis unters Kinn. Der Wind spielt mit dem Rauch, der um die Gruppe herumwirbelt und an der Betonfassade hinaufkriecht, wo er allmählich in der Herbstluft verweht.
    »… und das bedeutet, wie gesagt, dass wir leider keine Arbeit mehr für dich haben. Wir können deinen Vertrag nicht verlängern. Es tut mir sehr leid.«
    Gar nichts tut dir leid, hätte ich am liebsten erwidert. Im Gegenteil, du lachst dir doch ins Fäustchen. Die Direktion hat mich eingestellt, weil ich frisch von der Uni kam und relativ billig war – eine junge Frau, aktiv, unverbraucht, begeisterungsfähig. Du dagegen fandest mich zu jung und unerfahren. Das hast du von Anfang an nicht verhehlt. Nie hast du mir einen interessanten, bedeutenden Artikel gegönnt, nie hast du mir eine faire Chance gegeben. Du hast mir die besten Geschäftsreisen vor der Nase weggeschnappt, die Prominenten interviewt, die Kolumnen geschrieben.
    Für mich fielen nur die Krümel ab: vorgekaute Presseberichte, Filmbesprechungen von fünfzig Wörtern, langweilige Ausgehtipps. Und sogar die hast du bis zur Unkenntlichkeit überarbeitet.
    Und jetzt habe ich keinen Job mehr.
    Das ist deine Schuld.
    Sjef starrt auf seinen Computerbildschirm und schiebt die Brille auf die Nase. »Ich sehe, dass du ab nächster Woche Freitag Urlaub genommen hast. Wenn du deine übrigen Urlaubstage dazurechnest, kannst du eigentlich sofort deinen Schreibtisch leer räumen.« Dann blickt er mir mit einem glatt rasierten Grinsen direkt ins Gesicht. »Kann ich noch etwas für dich tun?«
    Du hast schon genug getan.
    »Nein, danke.« Innerlich werfe ich ihm die grässlichsten Verwünschungen an den Kopf, aber nach außen hin bleibe ich völlig ruhig.
    Gefühle für mich zu behalten, darin bin ich gut. Ich erröte selten, und wenn es mir schlecht geht, erkundigt sich kaum jemand nach meinem Befinden.
    Schichtwechsel draußen bei den Rauchern. Die einzige Frau in der Runde erinnert mich an Dianne. Sie gestikuliert beim Reden genauso heftig wie sie, unterstreicht das Gesagte mit dem ganzen Körper. Dianne, meine beste Freundin, würde in meiner Situation nicht so phlegmatisch bleiben. Wutschnaubend würde sie über den Schreibtisch klettern, Sjef an seiner geschmacklosen Krawatte packen und ihn anbrüllen, was für ein widerlicher Schleimer er sei. »Na und?«, hätte sie später laut lachend bei einer Flasche Bier zu mir gesagt. »Was hätte er schon tun können? Mich etwa feuern?«
    Aber ich bin nicht Dianne.
    Ich bin Eva Lambregts. Ich klettere nicht wutschnaubend über Schreibtische. Ich werde nicht laut. Ich schlucke meine Worte eher hinunter, als dass ich sie hinausschreie.
    Und jetzt bin ich also arbeitslos.
    Oder, nach einem neuerdings gebräuchlichen Euphemismus: in between jobs. Zwischen zwei Jobs.
    Erst bei meiner Heimkehr begreife ich vollends, dass ich am Montag nicht mehr in der Redaktion erwartet werde. Man gab mir kaum Gelegenheit, mich von meinen Kollegen zu verabschieden. Dafür ging alles zu schnell. Halb betäubt habe ich meinen Schreibtisch ausgeräumt und bin wie benebelt nach Hause gefahren.
    Ich hole eine Flasche Cola aus dem Kühlschrank, schenke mir ein Glas ein und steige die Treppe hinauf. Auf halbem Weg muss ich mich bücken, um mir nicht den Kopf an der Decke zu stoßen. Das Haus, in dem ich zur Miete wohne, ist sehr klein. Im Erdgeschoss befinden sich eine kleine Diele, das quadratische Wohnzimmer und die Küche, von der aus man auf einen ummauerten Innenhof ohne Zugangstür gelangt. Oben sind Bad und Schlafzimmer.
    Früher wohnten in diesen Häusern Fabrikarbeiter mit Scharen von Kindern. Ich kenne die Schwarz-Weiß-Fotos aus dem Stadtarchiv – die bleichen Gesichter der armen Kinder vor den Türen ihrer beengten Behausungen. Heute sieht man in unserer Straße keine Kinder mehr. Sobald sich eines ankündigt, ziehen die werdenden Eltern um in ein verkehrsberuhigtes Neubauviertel mit Spielplätzen, Grünanlagen und Gärten.
    Oben an der Treppe drücke ich gegen die Tür zum Schlafzimmer. Sie klemmt und protestiert quietschend beim Öffnen. Schon seit fünf Jahren, seitdem ich hier wohne. Ich nehme mir nie die Zeit für solch kleine Reparaturen, und irgendwie gerate ich immer an Freunde mit zwei linken Händen.
    Ich lasse mich auf das Doppelbett fallen, ziehe meinen Laptop auf die Tagesdecke neben mich und klappe ihn auf. Über meinem Kopf prasseln Regentropfen auf das Dachfenster.
    Ich trinke einen Schluck Cola und öffne das Mailprogramm. Zwei

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