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Verfallen

Titel: Verfallen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef
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Kanalisation angeschlossen. Das und noch vieles mehr mutet fast mittelalterlich an, und doch wächst auf den Feldern ultramoderner, genmanipulierter Mais. Der Gegensatz könnte nicht größer sein.
    Ich lege den Kopf in den Nacken. Über dem Haus schweben Greifvögel. Lautlos ziehen sie ihre Kreise, die riesigen Flügel weit ausgebreitet. Atemlos beobachte ich, die Hand über die Augen gelegt, ihren Segelflug, bis sie ihre Flugbahn erweitern, höher aufsteigen und schließlich nicht mehr zu sehen sind. Die Kaninchen können sich wieder hervorwagen.
    »Hast du dich inzwischen entschieden, was du tun willst?«, höre ich Erwin fragen, als ich die Türe hinter mir zuziehe.
    Er steht an der Spüle und rasiert sich. Sein gestreiftes Hemd hängt offen über einem Green-Day-T-Shirt.
    Ich lege die Wange an seinen Rücken, schiebe beide Händen unter sein T-Shirt und streichle seinen Bauch. »Ja. Ich möchte hierbleiben.«
    »Wahrscheinlich gibt es gar keinen Grund zur Sorge.«
    »Vielleicht. Ich hoffe es. Aber durch das, was inzwischen alles passiert ist, denkt man natürlich gleich an das Schlimmste.«
    »Klar.« Er klopft seinen Rasierer in der Spüle aus und fährt sich mit der flachen Hand über das Kinn. »Im Prinzip wollte ich am Sonntag zurückfahren. Aber wenn Dianne bis dahin noch nicht aufgetaucht ist, bleibe ich bei dir.«
    »Musst du denn nicht arbeiten?«
    »Da kann ich bestimmt etwas organisieren. Du bist wichtiger. Ich lasse dich nicht allein hier sitzen.« Er dreht sich um, küsst mich auf die Stirn und sagt dann, den Blick zum Hof gewandt: »Wir haben Besuch.«
    Durch das Fenster sehe ich Daniel daherschlendern, die Schultern hochgezogen, gehemmt. Heute ohne Hund.
    »Das ist Daniel. Ich vermute, dass er der Sohn der Nachbarn ist.«
    »Von denen, die dich vom Hof gejagt haben?«
    »Genau. Seine Eltern haben Daniel eigentlich verboten, hierherzukommen, aber er setzt sich darüber hinweg. Er hilft Dianne im Gemüsegarten. Von Gemüseanbau scheint sie übrigens nicht viel zu verstehen.«
    »Soviel zur gründlichen Vorbereitung«, bemerkt Erwin sarkastisch.
    Ich überhöre seinen Spott und gehe zur Vordertür. »Bleib lieber drinnen«, bitte ich ihn mit einem Blick über die Schulter. »Er ist ziemlich schüchtern.«
    Daniel erschrickt sichtlich, als ich die Tür öffne. Seine braunen Augen hinter den Brillengläsern weiten sich, und die Hände hält er leicht erhoben, wie gelähmte Pfötchen.
    »Hallo, Daniel«, grüße ich so freundlich wie möglich.
    Sein Gesicht hellt sich auf. »Mademoiselle Eva«, erinnert er sich, wobei er meinen Namen französisch ausspricht, bis zur Unkenntlichkeit verzerrt, mit betontem langen a. Klingt ein bisschen wie Eee-bah.
    Unbeholfen bleibt er vor mir stehen, den Hals nach vorne gereckt.
    Es dauert einen Moment, ehe ich mich an die französischen Umgangsformen erinnere und mich zu ihm hinunterbeuge, um den obligatorischen Wangenkuss in Empfang zu nehmen. » Ça va, mon ami? «
    »Ist Mademoiselle Dianne wieder da?«
    »Nein. Ich hatte gehofft, du hättest sie vielleicht gesehen.«
    Er schüttelt den Kopf, den Blick zu Boden gerichtet.
    »Hast du etwas?«
    »Ja. Gestern waren ein paar Freunde bei meinem Vater. Sie haben über Sie geredet.«
    »Ach ja? Was haben sie denn gesagt?«
    »Dass sie Sie ganz schön erschreckt hätten. Und dass Sie die Polizei gerufen hätten.«
    Mit gerunzelter Stirn hocke ich mich vor ihn hin. Ich versuche, ihm in die Augen zu sehen, aber das lässt er nicht zu. Ganz leise und sanft frage ich: »Haben sie auch gesagt, wie sie mich erschreckt haben?«
    Er nickt. »Mit einer Katze. Und mit noch etwas, was ich nicht richtig verstanden habe. Ich glaube, sie haben eine Scheibe eingeschlagen.«
    »Wer hat das getan?«
    Er drückt das Kinn auf die Brust und schlägt die Augen nieder. »Mein Vater und ein Freund von meinem Vater.«
    »Seid ihr die nächsten Nachbarn?« Wie hießen die Leute gleich noch? Krampfhaft denke ich nach. »Ihr heißt Beau, oder? Ist Régis Beau dein Vater?«
    Erschrocken sieht er mich an. Wahrscheinlich dämmert ihm erst jetzt, dass sein Vater eine Straftat begangen hat und er deswegen Schwierigkeiten bekommen könnte. Alarmiert blickt er sich nach allen Seiten um. »Haben Sie wirklich die Polizei gerufen?«
    »Nein. Aber ich war sehr traurig. Ich hatte der Katze einen Namen gegeben, einen niederländischen Namen, so ähnlich wie Fantôme . Der Kater sah nämlich ein bisschen gruselig aus, aber gerade dadurch irgendwie

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