Verflucht himmlisch
Sportzentrum. In einem bonbonlilafarbenen Nickydress.
Ich tauschte das rosa Bettzeug aus, warf den neuen Herzchenschlafanzug in die Wäsche, hängte meine Tanzwut- und Schandmaul-Poster, die Mama in meiner Abwesenheit abgenommen und zusammengefaltet hatte, zurück an die Wand und stellte dann fest, dass ich an Langeweile sterben würde, wenn nicht bald etwas passierte. Ich wünschte mir nicht unbedingt den blauen Geist herbei – nein, das nicht. Der hatte nur genervt. Er hatte sich in der Klinik nicht mehr blicken lassen seit seinem Fensterabsturz und hier, zu Hause, würde er mich bestimmt nicht aufsuchen. Warum auch? Das, was er erreichen wollte, hatte wohl geklappt. Denn er war nicht wiedergekommen.
Nur an dieses seltsame unvollständige Gefühl konnte ich mich nicht gewöhnen. Ich dachte, es ginge vorüber, wenn ich endlich wieder zu Hause war. Doch es begleitete mich auf Schritt und Tritt. Etwas fehlte. Ich wusste nur nicht, was. Aber ich wusste, dass es vorher immer da gewesen war. Denn so wie jetzt hatte ich mich noch nie gefühlt.
Ich trank eine halbe Flasche Bitter Lemon leer, rülpste, legte mich bäuchlings aufs Bett, weil mir in dieser Position weder der Hinterkopf noch die Schulter zu sehr wehtaten, breitete die Arme aus und wartete, dass irgendetwas geschah.
»Ich bin am Ende.«
Ich blieb liegen. Das war mit Sicherheit schon ein Satz aus meinem Traum gewesen. Ja, der Traum hatte gerade angefangen. Er war wirr und bläulich. Und Sprüche wie »Ich bin am Ende« passten gut in Träume. Vor allem, wenn sie so gedämpft und weit weg klangen. Weiterträumen, Luzie.
»Aufwachen, Luzie. Verdammt, früher musste ich dich nicht bitten aufzuwachen, da hast du es getan, wenn ich es wollte, zack, aber jetzt, jetzt geht gar nichts mehr. Ich bin am Ende.«
Oh. Es war doch kein Traum. Ich öffnete meine Augen und hob den Kopf. Schwerfällig wälzte ich mich auf die Seite. Leander stand draußen im Wind auf dem schmalen Fensterbrett, die Hände und sein Gesicht flach an die Scheiben gepresst, und fixierte mich. Jetzt flackerte er nur noch schwach blau und kaum mehr transparent. Er trug rotes, wallendes Haar, dazu aber diesmal einen dunklen Nadelstreifenanzug mit Krawatte. Ich erkannte ihn nur an dem bläulichen Schimmer auf seiner Haut und daran, dass seine Blicke Wärme schickten, selbst durch das kalte Fensterglas hindurch.
Stöhnend erhob ich mich, öffnete das Fenster und legte mich wieder aufs Bett.
»Es hat also nicht geklappt.«
»Nein«, seufzte er und sprang in mein Zimmer. Er kam schief auf, torkelte und fiel zu Boden. »Scheißgleichgewicht«, schimpfte er. »Jetzt ist mir klar, warum ihr euch andauernd was tut. Pfff.« Er drehte sich schnaufend auf den Rücken und schob sich an der Heizung hoch, bis er sitzen konnte.
»Und was willst du hier bei mir?«, fragte ich.
»Mit Wollen hat das nicht viel zu tun.« Leander befummelte ausgiebig seine Nase und ließ sie kleiner werden. »Oh. Es ist schon nicht mehr so leicht. Oje.«
»Was ist nicht mehr so leicht?«
»Luzie!«, brauste er auf. »Frag nicht, ich habe keine Zeit zum Antworten! Ich bin beschäftigt. Ich kriege dieses Ding nicht mehr los und ich muss mich jetzt darauf konzentrieren, es gut zu erschaffen.«
»Meinst du mit dem Ding deinen Körper?«, vergewisserte ich mich.
»Genau«, erwiderte Leander schnippisch.
»Dann ist dir das bisher ja nicht besonders gut gelungen.«
Leander schickte mir einen giftigen Blick aus zwei grellblauen, tief liegenden Seemannsaugen. Stand ihm nicht.
»Klappe halten!«, blaffte er mich an, presste den Mund zusammen und verwandelte die Anzughose in eine Jeans – endlich etwas einigermaßen Vernünftiges.
»Musst du das mit deinem Körperdingsbums denn unbedingt hier tun?« Langsam hatte ich die Nase voll von ihm. Ich hätte ihn gerne rausgeschmissen. Sollte er doch woanders an sich rumspielen.
»Ja, liebe Luzie, das muss ich, denn nur in deiner Gegenwart habe ich diesen blöden Körper, also kann ich es nur hier tun, aber ich muss sowieso hierbleiben, ich kann nicht anders. Ich muss. Und jetzt lass mich arbeiten. Es ist schon alles schlimm genug. Mach es nicht schon wieder schlimmer.«
»Schon wieder?!« Jetzt war ich sauer. Was hatte ich denn mit dem verkorksten Leben dieses blöden Geistes zu tun (der inzwischen gar nicht mehr geisterhaft wirkte, sondern erschreckend echt)?
Doch Leander ignorierte mich. Draußen war es dämmrig geworden. Ich schloss das Fenster (Leander sah nicht ein, auch nur
Weitere Kostenlose Bücher