Verflucht himmlisch
einen Zentimeter zur Seite zu rücken, und würdigte mich keines Blickes), ließ die Rollläden herunter, kuschelte mich in meine Decke ein und kehrte Leander den Rücken zu.
Bitte, bitte verschwinde wieder! Ich will keinen durchgedrehten Geist im Zimmer haben, bettelte ich in Gedanken.
Als ich zu Ende gebettelt hatte, wurde es sehr still. So still, dass ich hoffte, es habe funktioniert. Irgendjemand hatte meine Bitten erhört. Vielleicht wurde ich gerade vollkommen gesund und mein Leben so normal und gemütlich, wie ich es gewohnt war.
Denn nun, stellte ich überrascht fest, fühlte ich mich auch wieder vollständig. Nicht auf die gleiche Art und Weise wie vor meinem Unfall, aber das aufreibende Gefühl, etwas Wichtiges würde fehlen, war verschwunden. Zufrieden schlummerte ich ein.
Unvollendet
»Ich bin fertig.«
Ich war sofort hellwach. Leander hatte nicht laut gesprochen, aber seine Stimme klang klarer, tiefer und voller als vorhin. Und sehr feierlich.
»Du solltest es dir ansehen. Es ist grandios geworden. Das Beste, was man aus einem Menschenkörper machen kann.«
Ich schwieg. Ich musste mich offenbar damit abfinden, dass er nicht verschwinden würde. Zumindest vorerst nicht. Nicht von allein. Aber da konnte man ja nachhelfen. Wenn ich wieder gesund war und meine Schulter bewegen konnte, würde mir schon etwas einfallen, um ihn zu vertreiben. So ungeschickt, wie er vorhin durch mein Zimmer gehampelt war, würde es ein Leichtes sein, ihn aus dem Haus zu jagen. Notfalls mit ein paar wohlgesetzten Tritten und Schlägen. Immerhin war er ein Geist und meines Wissens konnten Geister nicht sterben. Ich musste also kein schlechtes Gewissen haben, wenn ich ihn ein wenig verprügelte. Er hatte ja auch den Sturz aus dem Fenster überstanden.
»Luzie …« Jetzt klang er nicht mehr feierlich, sondern verunsichert. »Luzie, bitte. Da stimmt was nicht.«
Ja, er hatte recht. Es stimmte so einiges nicht mit ihm. Er atmete tief aus und ein. Es hörte sich an, als würde er dabei zittern. Dieses Zittern kroch bis in meinen Magen. War er in Not oder tat er nur so? Konnten Geister überhaupt in Not geraten?
»Mein Kopf. Und mein Nacken. Meine rechte Hand. Sie – ich spüre sie so stark. Stärker als die anderen Körperteile. Und nicht auf eine angenehme Art und Weise. Ich muss dauernd an sie denken. Es gibt nichts mehr anderes«, stammelte er gequält.
Was meinte er nur? Hatte er sich bei seiner Verwandlung vertan und sich falsch zusammengebaut?
Aber mir ging es im Moment wie ihm. Ich bestand seit dem Sturz auch nur noch aus Kopf und Schulter. Moment … das war die Lösung! Leander war mit seinem Schädel an die Decke gekracht, gegen das Fenster gedonnert, auf das Vordach gefallen. Wäre er ein Mensch, wäre er völlig hinüber. Es machte ihm doch etwas aus!
»Du hast Schmerzen«, blubberte es aus mir heraus, bevor ich es verhindern konnte. Mist. Ich hatte mir vorgenommen, ihn nicht mehr zu beachten – und was tat ich jetzt? Ich redete mit ihm.
»Aaaah. Das sind also Schmerzen. Uiuiui. Himmel.«
Wieder breitete sich Stille aus, bis auf das zitternde Atmen von Leander. Meine Beine und Arme begannen zu kribbeln. Lange konnte ich nicht mehr still und stumm liegen bleiben und so tun, als wäre er nicht hier. Ich war neugierig. Zu neugierig. Das war eines der Dinge, die ich nie in den Griff bekam. Beim Parkour hatte ich zu viel Schwung, und wenn ich nicht Parkour machte, war ich zu neugierig. Ich wollte wissen, was er aus sich gemacht hatte. Vielleicht war es miserabel. Vielleicht aber hatte er recht und es sah gut aus. Doch er sollte kein zu leichtes Spiel haben. Er musste mir erst ein paar Sachen erklären. Dann würde ich mir ihn anschauen.
»Warum bin ich an allem schuld?«, fragte ich leise. »Wir haben doch gar nix miteinander zu tun. Ich bin ein Mensch und du bist ein blöder Geist.«
»Ein Geist! Pah!«, rief Leander schnaufend. »Ein Geist.«
»Oh Mann, ich wusste, dass man sich mit Jungs nicht unterhalten kann, aber mit dir ist es echt besonders nervig«, schimpfte ich und knipste das Licht an. Leander saß mit beleidigter Miene auf meinem Schreibtisch. Ich musterte ihn flüchtig.
Oje. Sein Gesicht war ganz okay geworden, soweit ich das auf den ersten Blick beurteilen konnte. Die Klamotten jedoch sahen merkwürdig aus. Er trug eine Jeans, die viel zu hoch saß, ein weißes Shirt und eine abgewetzte Lederjacke. Ich glaube, ich hatte mal einen Mann auf einem von Oma Annis alten Filmplakaten gesehen, der
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